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IGW: Warum Tannenzapfen aus der Eifel nach Dänemark müssen
Noch stammen die meisten unserer Weihnachtsbäume aus Zapfen, die in kaukasischen Wäldern geerntet werden. Doch nicht mehr lang, denn in Nord- und Mitteleuropa entstehen mehr und mehr Saatgutbestände, die sogar zertifiziert sind. Einer der ersten gehört dem Forstbetrieb Thielen in Euscheid. Der Weihnachtsbaumanbauer deckt schon seit einem Vierteljahrhundert seinen Bedarf an Jungpflanzen aus den Samen der eigenen Bäume und versorgt auch Kollegen: „Ich kann die Bestellwünsche gar nicht alle bedienen“, sagt Roman Thielen. Sein sogenannter „Luxemburger Erntebestand“ ist ein Exportschlager der Eifel – und das mit technischer Unterstützung aus Dänemark.
Für einen schönen Weihnachtsbaum müssen vier Stationen über Jahre optimal zusammenarbeiten: der Forstbetrieb mit dem Erntebestand, der ertragreiche Zapfen zugelassener Bestände liefert; die Samenklenge (Forstsamendarre), die das Vermehrungsgut herkunftsgesichert, sauber und fruchtend aus den Zapfen gewinnt; die Baumschule, die aus den Samen die Weihnachtsbaumsetzlinge zieht; und schließlich der Weihnachtsbaumanbauer, der die drei- bis vierjährigen Bäumchen pflanzt und dann acht bis 13 Jahre bis zur Ernte pflegt. Der Forstbetrieb Thielen arbeitet seit 2018 mit der Klenge Levinsen in Gørløse bei Kopenhagen zusammen, einem der größten Saatgutbetriebe in Europa. Vor Kurzem lieferte Roman Thielen wieder über vier Tonnen vorgetrockneter Zapfen im 900 Kilometer entfernten Gørløse ab, die Ernte vom August vergangenen Jahres. Daraus wird Levinsen etwa 300 Kilogramm Saat gewinnen für das kommende Jahr und das darauffolgende.
Die Zapfenwährung lautet: Ein Nordmanntannenzapfen enthält bis zu 200 Samen. Etwa 20 Zapfen wiegen ein Kilogramm. Ein Kilo Saatgut ergibt etwa 3.000 bis 4.000 Pflanzen.
Von den Samen, die aufgehen, entwickeln sich nicht unbedingt alle zu prächtigen Weihnachtsbäumen. Vor allem nicht, wenn sie aus wild wachsenden Wäldern wie im Kaukasus stammen. Da die Bestäubung im Mai durch den Wind erfolgt, kann es dort vorkommen, dass der Zapfen tragende Mutterbaum mit Pollen von Bäumen schlechterer Qualität befruchtet wird, was dann Ausfälle zeitigt. Aus diesem Grund und um etwaigen Lieferschwierigkeiten vorzubeugen, werden im westlichen Europa zunehmend Erntebestände mit ausschließlich hervorragenden Mutterbäumen angelegt, die durch große Abstände von mindestens 500 Meter zu anderen Waldbäumen vor Fremdbestäubung gesichert sind. „Bei uns ist die Ausbeute an guten Pflanzen um bis zum Doppelten höher“, sagt Roman Thielen nicht ohne Stolz.
Zweimal Glück, einmal Pech
Die Erfolgsgeschichte des Thielenschen Erntebestandes kennt zwei Glücksfälle und einen Rückschlag, erzählt der 35-Jährige. Glücksfall Nummer 1 war, dass sein Vater Werner Thielen, damals Chef des Forstbetriebs und gelernter Florist, vor fast 40 Jahren in einem grenznahen Luxemburger Mischwald hervorragend gewachsene, etwa 25 Jahre alte Nordmanntannen entdeckte und den zwei Hektar großen Bestand erwerben konnte. Im Gegensatz zu Fichten sind Tannen wegen ihrer Pfahlwurzel sturmfest und relativ trockenresilient. Über Jahre selektierten Werner und Roman Thielen den Bestand im Hinblick auf ihre Eignung als Mutterbäume für Weihnachtsbäume, sortierten die weniger ansehnlichen Bäume und die für Spätfrost anfälligen aus. Eine genetische Untersuchung ergab eine Übereinstimmung von 98% mit der häufigsten Nordmanntannensorte und einer Unterart. Sie sind nach den Namen zweier kleiner Orte in Georgien benannt: Ambrolauri und Nikorzminda.
Erwartungsvoll starteten Vater und Sohn schließlich nach zwei Jahrzehnten die erste Zapfenernte. Anders als bei Fichten fallen Tannenzapfen nicht zu Boden, sondern bleiben in den Kronen an den Zweigen, wo sie über Monate langsam aussamen. Daher müssen die Zapfen von ausgebildeten Kletterern gepflückt werden. In den ersten Jahren stieg Roman Thielen selbst bis zu 35 Meter hoch, um die befruchteten Zapfen von den Ästen zu drehen. Noch in der Krone schneidet der Pflücker einen Zapfen auf, um den Befruchtungsgrad festzustellen. „Mindestens 80% der Samen sollen keimfähig sein“, berichtet Thielen, „sind zu viele taube Samen da, lohnt sich die Arbeit nicht, und der Pflücker wechselt zum nächsten Baum.“ Schon die erste Zapfenernte übertraf von der Menge und Qualität her alle Erwartungen – und endete dennoch mit einem Reinfall, denn in der Baumschule erfroren später nahezu alle der ersten Thielen-Pflänzchen, über zwei Mio. Stück. „Das ging daneben“, sagt der 35-Jährige trocken.
Doch die Euscheider steckten nicht auf und wurden schließlich belohnt. Der zweite Glücksfall war, 2018 die Zusammenarbeit mit der bekannten Klenge Levinsen zu beginnen. Der Inhaber, Ulrik Kejser Nyvold , gehört wie Roman Thielen der Interessengemeinschaft der Jungweihnachtsbaumanbauer (IGW) an, einem Fachverband mit 70 Mitgliedern in Deutschland, Österreich und eben Dänemark. Darunter sind auch versierte Baumschuler. Ihre Zusammenarbeit hat sich eingespielt: Der Betrieb Levinsen, der die Samen von gut 160 Gehölzarten in aufwendigen Säuberungs-, Trocknungs- und Kühlverfahren aufbereitet und Spezialist für Nordmanntannen ist, kümmert sich um das Saatgut des „Luxemburger Erntebestands“. Der Forstbetrieb Thielen lässt es dann in mehreren Baumschulen in Deutschland kultivieren und verkauft die Sämlinge an Weihnachtsbaumanbauer. Einen Teil behält Roman Thielen für den eigenen Christbaumanbau. Da nicht jedes Jahr Zapfen geerntet werden können, lagert Levinsen immer einen Teil des Saatguts aus der Eifel als Reserve ein.
Unabhängiger vom Kaukasus
Die „Luxemburger Erntebestand“ des Euscheider Forstbetriebs wurde in der Weihnachtsbaumbranche zu einem Begriff, wenngleich sie nur einen kleinen Marktanteil hat. Ulrik Nyvold (47 Jahre) berichtet, er leiste mit seiner Klenge gern die technische Unterstützung für Thielen, obwohl Levinsen eigene Nordmanntannensamen verschiedener Herkünfte vermarktet. Die Firma ist an Saatgutbeständen beteiligt. Darunter sind seit 1995 auch Klonsamenplantagen, also Bestände an Mutterbäumen mit identischem Erbgut. Nyvold rechnet damit, dass der Zapfenimport aus dem Kaukasus in naher Zukunft stark abnehmen wird.
Roman Thielen sorgt sich nicht um die Zukunft seines wertvollen „Luxemburger Erntebestands“ und führt dafür mehrere Gründe an. Nicht nur er, sondern auch Kollegen in Norddeutschland und sogar Ungarn schätzen die Genetik, weil sie hier wie dort unter den jeweiligen Boden- und Klima-Bedingungen zuverlässig gedeiht. Sodann verweist der 35-Jährige darauf, dass die Kunden in Europa nicht einen Einheitsweihnachtsbaum wollen und stattdessen eine Wahl zwischen Wuchsformen und Farbnuancen haben möchten. Außerdem kann es immer einmal in einer Region Ernteausfälle geben, sodass man nicht auf ein einzelnes Anbaugebiet angewiesen sein sollte. Aus dem Grund unter anderem plant Thielen aktuell weitere Mutterbaumflächen. Mit diesen Klonsamenplantagen will er zum einen das Erbgut des über Jahrzehnte sorgsam konzentrierten „Luxemburger Erntebestands“ sichern für den Fall, dass dieser einmal Schaden nimmt. Zum anderen soll das Saatgutgeschäft, das momentan nur 4% vom Gesamtumsatz des Forstbetriebs ausmacht, gestärkt werden. Den Namen für das neue Saatgut, das erst in einigen Jahren zur Verfügung stehen wird, hat Roman Thielen schon: „Luxemburg II“. (IGW)

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