Schweiz: Warum ein Gemüsegärtner auf Eier setzt

Gemüsegärtner Thomas Hurni aus Kerzers setzt neu auf Gemüse zum Selbstpflücken. Damit will er die Bindung zu den Konsumentinnen und Konsumenten steigern – und sich Selbstbestimmung zurückholen.

Thomas Hurni und sein Mitarbeiter Jonas Schwab starteten in diesem Frühling mit ihrer Selbstpflückanlage, hier im Folientunnel mit den Auberginen. Bild: ep.

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Vierzig Jahre steht die Linde bereits da, praktisch unbemerkt neben der Straße vor den Folienhäusern mit dem Gemüse und Erdbeeren. Die Leute schauten entweder auf die Folientunnel oder gegenüber auf den Chasseral, aber kaum auf den imposanten Baum dazwischen.

In einem Moment der Achtsamkeit kam Gemüsegärtner Thomas Hurni im freiburgischen Kerzers zur Erkenntnis, dass der wunderschöne Baum mehr verdient hätte. Schließlich hatte er ihn damals als Kind gemeinsam mit seinen Eltern gepflanzt. Als erste Aktion stellte er deshalb im Frühling des letzten Jahres eine Bank zum Verweilen für jedermann darunter. Das kam gut an.

"Danke" sagt sonst niemand mehr

Jetzt begann es aber erst so richtig zu rotieren in seinem Kopf. Weshalb nicht irgendwie ausbrechen aus dem anstrengenden und kräfteraubenden Tagesgeschäft mit Gemüse und Erdbeeren für den Großhandel? Er träumte beispielsweise schon lange von ein paar Hühnern. Auch ein Hofladen war ein Thema, schließlich wurde er immer wieder darauf angesprochen.

Die Tagträume wurden schließlich real. Im letzten September stellte er neben der Linde einen kleinen Stall mit 14 Hühnern auf, deren Eier direkt verkauft wurden. Hurni war überwältigt von den Reaktionen: "Ich erhielt in den paar ersten Tagen mehr Lob für die paar Hühner als zuvor in 20 Jahren intensiver Gemüseproduktion". "Danke" sagt einem im mittlerweile zum Rappengeschäft verkommenden Gemüsehandel nämlich niemand. Nun gab es also plötzlich einen direkten Draht zu seiner Kundschaft. Und das gefiel ihm. Er kam in einen Flow.

Selbstpflück-Garten

Der Moment für den Einstieg in die Direktvermarktung war definitiv gekommen. Viel habe man nicht verlieren können, sagt Hurni. Erfahrungen mit überdecktem Beerenanbau, dem Anbau von Gemüse sowie auch von Blumen war reichlich vorhanden, die Infrastruktur dazu auch. "Ich reservierte kurzum ein paar Folientunnel für Erdbeeren und Gemüse zum Selberpflücken."

Von der Idee bis zur Umsetzung dauerte es nur ein paar Wochen: Zwischen den Tunnelreihen wurde ein Schattierungsnetz gespannt. Auf einer Seite sind die Stellagen mit den Erdbeeren untergebracht, in den Tunneln gegenüber die Gurken, Tomaten, Melonen, Auberginen und Bohnen. Dazu Salate auf ein paar Aren im Freiland. Bereits an Auffahrt wurde eröffnete Hurni, Wegweiser wiesen zum "Selbstpflück-Garten", er schaltete Inserate in der lokalen Zeitung und publizierte Posts in den sozialen Medien. Schnell war klar, dass die Eier der 14 Hühner bei Weitem nicht reichen würden. Das Federvieh ist in der Direktvermarktung bekannt als sympathischer Türöffner, vor allem seit sie in mobilen Ställen auf den Feldern herumgackern. Hurni lacht: "Quasi über Nacht beschafften wir zwei zusätzliche Ställe und fünfzig Hühner." Genug Eier hat es allerdings immer noch nicht.

Gemüse selber pflücken ist noch ungewohnt

Die Anlage ist an sieben Tagen von 8.00 bis 21.00 Uhr geöffnet. Das Angebot stiess von Beginn an auf reges Interesse. Doch etwas fehlte noch: "Der Hofladen kam erst ein paar Wochen später dazu", erklärt Hurni. Schliesslich musste die mittlerweile auf "Pflück dis Glück" getaufte Anlage neben dem laufenden Hauptgeschäft mit den Beeren und dem Gemüse für den Großhandel aufgestellt werden.

Das Sortiment im Märithüsli wird mit weiteren regionalen Artikeln laufend ausgebaut, Kaffee und Bauernhofglace inklusive. Auch Lehrgeld wird bezahlt: "Vieles bedeutet für uns trotz allem Neuland", sagt Jonas Schwab, der auf dem ganzen Betrieb für das Marketing zuständig ist. Beispielsweise mit dem Bereitstellen von Rückgeld in einem Kässeli. "Dort glänzte es bald nur noch goldig von Fünfrappenstücken". Vor allem die junge Kundschaft bezahle aber glücklicherweise bargeldlos über Twint.

Kein Selbstläufer

Zu Schwabs Aufgaben gehört nun auch das Herrichten des Hofladens am Morgen. Überhaupt sei das Ganze alles andere als ein Selbstläufer. "Die Kulturen müssen weiterhin täglich betreut werden", erklärt er. Das Personal pflückt von Pilzen befallene Erdbeeren heraus oder jätet in den Gemüsekulturen. Was bei den Gurken, Tomaten oder Auberginen nicht von den Privaten geerntet wird, kommt in den Hofladen. Die Kundschaft in den Gemüsetunneln sei eher noch zurückhaltender am Werk.

"Man merkt, dass die Erdbeeren als Selbstpflück-Kultur seit Jahren etabliert sind", erklärt Hurni. Das Schneiden von Gurken und Tomaten sei für viele ungewohnt. Auf einer Tafel wird deshalb beschrieben, wo das Messer am besten angesetzt wird. Bei Bohnen, Melonen und Paprika seien sie noch selbst am Erfahrungen sammeln, da sie diese Kulturen bisher nicht anbauten. Der Freilandgarten mit den Salaten kam im Frühling wegen des schlechten Wetters zudem kaum auf Touren und musste gar teilweise umgepflügt werden.

Trotzdem sind die beiden bisher zufrieden. Trotz dem bisher sehr schlechten Wetter kommen an manchen Tagen über 100 Leute zum Pflücken rauf auf den Moosacker oberhalb von Kerzers. In den Folientunneln werden sie nämlich sicher nicht naß.

Produktion und Konsumenten zusammenbringen

Man hört es immer wieder: Die Konsumentinnen und Konsumenten sind immer weiter von der Landwirtschaft entfernt. Selbst im Seeland, dem Gemüseanbaugebiet schlechthin, ist das nicht anders. Thomas Hurni will mit "Pflück dis Glück" deshalb ein Begegnungszentrum schaffen, wo sich die Produktion mit seiner Kundschaft trifft und austauscht. Und das ohne Scheuklappen: "Sind die Erdbeeren von einem Pilz befallen, erklären wir den Leuten, weshalb und wie wir die Pflanzen behandeln". Es könne deshalb nach einem Pflanzenschutzmitteleinsatz auch vorkommen, dass ein Folientunnel temporär geschlossen werde, sagt er.

Grundsätzlich sei das Verständnis groß. Und offenbar denkt man vor allem praktisch: "Eben erst hat mir eine schwangere Frau gesagt, wie bequem es sei, die Erdbeeren auf den Stellagen in aufrechter Haltung pflücken zu können". Dass diese als Hors-sol-Kultur wachsen, sei überhaupt noch nie ein Thema gewesen, stellt Hurni erstaunt fest. Weil er nicht immer vor Ort präsent sein kann, erklärt er die Grundprinzipien des Anbaus zusätzlich in per QR-Code mit dem Mobiltelefon abrufbaren Videos. Überhaupt wird stark mit digitalen Hilfsmitteln gearbeitet, beispielsweise über Werbung auf Google oder mit Beiträgen auf Facebook und Instagram. "Die jungen Leute holt man vor allem dort ab", erklärt Jonas Schwab.

Selbstbestimmung zurückholen

Genug haben die beiden noch lange nicht: Wenn die Anlage Ende September in die Winterpause geht, werden Obstbäume und Beerensträucher gesetzt. Selbst ein Streichelzoo soll eines Tages das Angebot abrunden. Die Idee: "Die Eltern sollen ihre Taschen mit frischem Obst, Gemüse oder Eier füllen und anschliessend unter der Linde entspannt einen Kaffee aus dem Hofladen trinken, während dem die Kinder dort unterwegs sind."

Hurni sagt es und verabschiedet sich zum Gewächshaus hinter der Selbstpflückanlage, in dem immer noch der Hauptumsatz mit dem Gemüse für den Großhandel erzielt wird. Langfristig soll die Direktvermarktung aber zu einem ebenbürtigen, wirtschaftlichen Standbein des Betriebs werden. Sei es nur, um sich einen Teil der in den letzten Jahren verlorengegangenen Selbstbestimmung zurückzuholen. (lid)

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