Urteil: Keine automatische Genehmigung für Wirkstoffe

Eine befristete Verlängerung der Genehmigung von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen darf nicht automatisch oder systematisch erfolgen.

Urteile des Gerichts in den Rechtssachen T-412/22 | PAN Europe/Kommission, T-94/23 | Pollinis France/Kommission und T-565/23 | Aurelia Stiftung/Kommission. Bild: GABOT.

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Nach dem Unionsrecht1 erfordert das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln u. a., dass der darin enthaltene Wirkstoff von der Europäischen Kommission genehmigt wird. Diese Genehmigung wird grundsätzlich für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren erteilt und kann für einen Zeitraum von höchstens 15 Jahren erneuert werden. Die Kommission kann die Genehmigung für Wirkstoffe auch befristet verlängern, wenn zu erwarten ist, dass sie vor einer Entscheidung über die Erneuerung auslaufen wird.

Im Anschluss an den Erlass von Durchführungsverordnungen seitens der Kommission, mit denen die Genehmigungszeiträume für drei in Pflanzenschutzmitteln verwendete Wirkstoffe, und zwar Boscalid2, Dimoxystrobin3 und Glyphosat4, erneut verlängert wurden, beantragten drei gemeinnützige Umweltvereinigungen getrennt voneinander bei der Kommission eine interne Überprüfung dieser Durchführungsverordnungen5. Dabei stellten sie die Vereinbarkeit der Verlängerung des Genehmigungszeitraums mit dem Unionsrecht6 in Frage.

Da die Kommission ihre Anträge auf interne Überprüfung zurückwies, haben die Vereinigungen beim Gericht der Europäischen Union Klagen auf Nichtigerklärung der Ablehnungsbeschlüsse erhoben.

In den heute verkündeten Urteilen gibt das Gericht diesen Klagen statt und erklärt die genannten Ablehnungsbeschlüsse für nichtig.

Das Gericht stellt fest, dass die Verlängerung der Genehmigung eines Wirkstoffs vorläufiger Natur ist und Ausnahmecharakter hat. Sie muss im Hinblick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls vorgenommen werden und darf daher nicht automatisch oder systematisch erfolgen.

Die Dauer der Verlängerung muss von der Kommission in jedem Einzelfall bewertet werden und muss ausreichen, um die Prüfung des Erneuerungsantrags für jeden Wirkstoff zu ermöglichen. Sie darf weder länger noch kürzer sein als der für den Abschluss des Erneuerungsverfahrens erforderliche Zeitraum. Daher kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Ansatz der Kommission, die sich für kürzere und bei Bedarf mehrmalige Verlängerungen anstelle eines einzigen längeren, anhand der Umstände des Einzelfalls berechneten Zeitraums entschieden hat, gegen das Unionsrecht verstößt.

Die Verlängerung der Genehmigung setzt voraus, dass der Antragsteller die Verzögerung des Verfahrens zu ihrer Erneuerung nicht zu verantworten hat. Insoweit muss die Kommission die Rolle des Antragstellers bei den während dieses Verfahrens aufgetretenen Verzögerungen objektiv und konkret prüfen und muss sich vergewissern, dass er nicht in einer Weise gehandelt hat, die Verzögerungen verursacht oder zu ihnen beigetragen hat. Insbesondere ist eine Rolle des Antragstellers nicht schon deshalb auszuschließen, weil die Verzögerung zumindest teilweise auf andere an dem betreffenden Verfahren beteiligte Behörden zurückzuführen ist. Er könnte etwa dann selbst zu der Verzögerung beigetragen haben, wenn sich die Qualität der vorgelegten Daten als unzureichend erweist.

Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Kommission durch ihre abweichende Auslegung des Unionsrechts einen Rechtsfehler begangen hat, so dass ihre Beschlüsse, mit denen die Anträge auf interne Überprüfung der Durchführungsverordnungen zur Verlängerung der Genehmigungszeiträume für Boscalid, Dimoxystrobin und Glyphosat abgelehnt wurden, für nichtig zu erklären sind.

1 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln.
2 Durchführungsverordnung (EU) 2022/708 der Kommission vom 5. Mai 2022 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 im Hinblick auf die Verlängerung der Genehmigungszeiträume für [den Wirkstoff Boscalid u. a.] (fünfte Verlängerung des Genehmigungszeitraums für
Boscalid).
3 Durchführungsverordnung (EU) 2021/2068 der Kommission vom 25. November 2021 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Verlängerung der Laufzeit der Genehmigung für [den Wirkstoff Dimoxystrobin u. a.] (sechste Verlängerung des Genehmigungszeitraums für Dimoxystrobin).
4 Durchführungsverordnung (EU) 2022/2364 der Kommission vom 2. Dezember 2022 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Verlängerung der Dauer der Genehmigung für den Wirkstoff Glyphosat (vierte Verlängerung der Genehmigung für Glyphosat).
5 Der Antrag von Pollinis France betraf die Verlängerung des Genehmigungszeitraums für Boscalid, der Antrag von PAN Europe bezog sich auf Dimoxystrobin und der Antrag der Aurelia Stiftung auf Glyphosat. Die Anträge auf interne Überprüfung wurden gemäß Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft gestellt.
6 Art. 17 der Verordnung Nr. 1107/2009

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