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NABU: Stellt Pestizidbericht vor
Der NABU hat jetzt den ersten Pestizidbericht für Baden-Württemberg vorgestellt. Hintergrund ist die Diskussion im Landtag um die Erarbeitung einer Strategie zur Pestizidreduktion, mit der auch ein Beitrag gegen das Insektensterben geleistet werden soll. „Wir fordern den Pestizideinsatz in Baden-Württemberg bis 2025 um 50% zu reduzieren. Wie das gehen könnte und wo das Land auf dem Weg dorthin aktuell steht, zeigen wir mit unserem Pestizidbericht“, sagt der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle im Rahmen einer Pressekonferenz.
„Mit unserem Bericht liegt erstmalig eine Übersicht über den Pestizideinsatz auf landwirtschaftlichen Flächen in Baden-Württemberg vor. Und da kommt eine Menge zusammen“, erläutert Enssle. „Rund 2.300 t Pestizide werden jedes Jahr allein im Weizen-, Gerste-, Mais-, Raps-, Zuckerrüben-, Kartoffel-, Wein- und Apfelanbau eingesetzt. Zusammen sind dies etwa 80% der Acker- beziehungsweise Dauerkulturflächen im Land. Im Südwesten werden damit etwa 9% der bundesweit eingesetzten Pestizide in der Landwirtschaft ausgebracht. Angesichts des Flächenanteils dürften es jedoch nur 6% sein.“ Von den 2.300 t entfallen 56% auf Fungizide, 35% auf Herbizide, 2% auf Insektizide und sieben Prozent auf Wachstumsregulatoren. „Das weltweit umstrittene, wahrscheinlich krebserregende Totalherbizid Glyphosat ist mit 203 t pro Jahr auch in Baden-Württemberg das am häufigsten eingesetzte Mittel, um unerwünschte Wildkräuter auf dem Acker abzutöten.“
NABU-Landwirtschaftsreferent Jochen Goedecke führt aus: „Erschreckend ist, dass viele Flächen mehrfach im Jahr mit Pestiziden behandelt werden. Bei einem Durchschnitt von fast zehn Anwendungen pro Jahr summiert sich die mit den Giften behandelte Fläche bei den untersuchten Anbaukulturen auf insgesamt 6 Mio. Hektar. Allein beim Glyphosat kumuliert sich die behandelte Fläche auf insgesamt 145.000 Hektar im Jahr.“
Pestizide belasten die Umwelt und tragen zum Rückgang der Artenvielfalt bei. „Durch das Wegspritzen von Ackerwildkräutern mit Herbiziden wie Glyphosat finden Insekten wie Wildbienen keine Nahrung mehr. Hochgiftige Insektizide wie jene aus der berüchtigten Wirkstoffgruppe der Neonicotinoide töten die Tiere direkt, schwächen ihr Immunsystem oder führen zum Verlust ihres Orientierungssinns“, berichtet Goedecke. In der Folge verschwinden auch viele Vogelarten, die zur Jungenaufzucht auf Insekten als Eiweißquelle angewiesen sind. „Rückstände von Pestiziden finden sich mittlerweile in vielen Nahrungsmitteln, reichern sich in den Böden an und werden ins Grundwasser ausgewaschen. Selbst in den besonders geschützten Naturschutzgebieten ist der Pestizideinsatz in Baden-Württemberg bislang fast uneingeschränkt möglich. Deshalb macht das Artensterben auch nicht vor Schutzgebieten halt“, fügt der Landwirtschaftsexperte an.
Bei Obst und Wein besonders viel Pestizide
Der Pestizidbericht stellt dar, wie häufig welche Kulturpflanze mit welcher Pestizidgruppe behandelt wird und setzt dies in Relation zur Gesamtfläche Baden-Württembergs. Äpfel und Weinreben machen zwar nur 6% der Anbaufläche der acht untersuchten Anbaukulturen aus, es werden dort aber 44% aller Pestizidwirkstoffe ausgebracht. Die Getreidesorten Mais, Wintergerste und Winterweizen vereinen zusammen mit der Ölfrucht Winterraps 91% der Anbaufläche der acht Kulturen, werden jedoch „nur“ mit der Hälfte der ausgebrachten Pestizidwirkstoffe behandelt. „Die Wirkstoffmenge allein reicht aber noch nicht aus, um eine sinnvolle Bewertung vorzunehmen. Entscheidend ist, wie giftig die eingesetzten Wirkstoffe sind“, betont NABU-Landeschef Enssle. Mit Hilfe eines Indikators - dem sogenannten ‚Toxic Load Indicator‘ - sei es möglich, die umweltrelevante Pestizidlast für jeden Wirkstoff, für jede Kulturpflanze und für ganz Baden-Württemberg messbar zu machen.
Wege zur Pestizidreduktion - Halbierung bis 2025 möglich
In vier unterschiedlichen Szenarien berechnet der NABU die Potenziale für eine Pestizidreduktion: „Allein, wenn wir bestehende Ansätze zum pestizidfreien Weizenanbau wie zum Beispiel die Initiative KraichgauKorn® auf den Weizenanbau im gesamten Land ausdehnen würden, könnten wir viel erreichen. Die Fläche, auf der Pestizide ausgebracht werden, würde sich auf einen Schlag um fast die Hälfte reduzieren. Das zeigt, dass wir mit dem Ruf nach einer Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2025 keine unrealistischen Forderungen stellen“, betont Enssle.
Pestizidbericht liefert Referenzpunkt für Pestizidreduktionsprogramm des Landes
Der Pestizidbericht des NABU liefert die dringend notwendige Datengrundlage für eine erste „Baseline“ als Ausgangspunkt für die vom Land im Rahmen des „Sonderprogramms zur Stärkung der biologischen Vielfalt“ angekündigte Pestizidreduktionsstrategie. „Wir widerlegen damit den angeblichen Mangel an Daten und Fakten zum Pestizideinsatz im Land. Das in der Vergangenheit immer wieder vorgebrachte Argument, das Land könne sich keine konkreten Ziele setzen, da es nicht wisse, wo wir stehen, zieht damit nicht mehr“, sagt der NABU-Landesvorsitzende. Mit dem Papier unterstreicht der NABU seine Forderung, eine ambitionierte Strategie mit klaren quantitativen Zielen zur Pestizidreduktion und einer Erfolgskontrolle auf den Weg zu bringen. „Wir haben erste Zahlen vorgelegt. Jetzt ist Grün-Schwarz am Zug zu handeln und ein entsprechendes Programm aufzulegen.“
Politischer Wille und etwas Mut!
Den Abschluss des Pestizidberichts bilden zehn Maßnahmenvorschläge als Empfehlung an die Landesregierung. „Zur Umsetzung dieser zehn Punkte braucht das Land vor allem den politischen Willen und den Mut, die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Diesen Mut vermissen wir bei der grün-schwarz geführten Landesregierung derzeit noch“, so Enssle. Ein Marathonlauf werde das nicht. „Vieles lässt sich in kurzer Zeit auf den Weg bringen. Für den Rest braucht es etwas mehr Kondition und auch mehr Geld in den landwirtschaftlichen Fördertöpfen.“ Der NABU werde diesen Prozess weiterhin aufmerksam und konstruktiv begleiten.
Datengrundlage
Der Pestizidbericht basiert auf Erhebungen des Julius-Kühn-Instituts (JKI), dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, angesiedelt beim Deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Das JKI liefert Durchschnittswerte aus mehr als 1.300 landwirtschaftlichen Testbetrieben zum Einsatz von Pestiziden in unterschiedlichen Kulturen. Die aktuellsten öffentlich zugänglichen Zahlen stammen aus dem Jahr 2014. Für die Analyse betrachtet wurden die acht Kulturpflanzen Winterweizen, Wintergerste, Mais, Winterraps, Zuckerrüben, Kartoffeln, Wein und Äpfel. Sie machen zusammen etwa 80% der landwirtschaftlichen Flächen der Dauerkulturen und des Ackerbaus von Baden-Württemberg aus. (Quelle: NABU)
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