Schweiz: Der gläserne Acker

Seit diesem Jahr fließen die Daten zwischen Bauern und Behörden im Kanton Aargau nur noch elektronisch. Dadurch sinkt nicht nur der administrative Aufwand. Die mächtige Datenbasis dient auch anderen Zwecken.

Erich Nyffeler bei der Erfassung der Daten im Computer. Bild: David Eppenberger

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Nach erledigter Arbeit wechselt Landwirt Erich Nyffeler aus Gontenschwil vom Traktor ins Büro. Er startet den Computer und loggt sich mit seinen persönlichen Zugangsdaten im Computer auf dem Internetportal des Kantons Aargau ein, und trägt dort die zuvor auf dem Feld erledigten Arbeiten ein. Das Güllen mit dem Schleppschlauch gilt als „emissionsminderndes Ausbringverfahren“ und wird deshalb mit staatlichen Direktzahlungen in Form von Ressourceneffizienzbeitragen honoriert. Einmal im System erfasst, dient es der kantonalen Administration als Grundlage zur Berechnungen der Direktzahlungen, die Nyffeler zugute hat.

Elektronische Aufzeichnungspflicht

Was unspektakulär aussieht, ist eigentlich eine kleine Revolution. Denn seit Anfang Jahr müssen alle Aargauer Landwirte ihre Daten zwingend elektronisch erfassen. Wer Mühe damit hatte, erhielt vom Staat eine Schulung. Im Kanton Aargau ist der Papierkrieg mit von Hand ausgefüllten und per Post verschickten Formularen in der Landwirtschaft damit endgültig beendet. Der Datenfluss zwischen Bauernhof, Kanton und Bund erfolgt nur noch elektronisch. Der Kanton stellt den Bauernfamilien mit der kartenbasierten Applikation agriGIS ein benutzerfreundliches Instrument zur Erfassung und Anpassung der Landwirtschaftsflächen zur Verfügung.

In den letzten drei Jahren wurden - basierend auf dem Geoinformationssystem (GIS) - 60.000 ha landwirtschaftliche Fläche elektronisch erfasst. Die Landwirte ergänzen ihrerseits ihre Parzellen mit zusätzlichen Informationen, beispielsweise der angebauten Kultur oder der Anzahl Hochstammbäume. Klickt Erich Nyffeler auf die Fläche mit Flurnahmen Gulihübel, öffnet sich auf dem Bildschirm ein Fenster mit Angaben zu Besitzer, Grundbuchnummer und Flächengröße. Und er sieht, dass dort in diesem Jahr Silomais wächst. Früher versehentlich erfasste Doppeldeklarationen von Flächen sind in der digitalen Welt nicht mehr möglich. Doch das mächtige System ermöglicht noch viel mehr. Wenn er beispielsweise mit dem Nachbarn eine Fläche temporär abtauschen möchte, dann macht er das nun mit wenigen Klicks über das System. „Der Nachbar muss in seinem Konto bei sich nur noch sein ok geben“, sagt Nyffeler. Früher sei das viel komplizierter gewesen. Er selbst kann sich ohnehin nicht mehr vorstellen, ohne agriGIS zu arbeiten.

Präzise Saat dank GPS

Die Arbeiten auf dem Acker können dank immer mehr High-Tech und Informationen immer exakter und effizienter durchgeführt werden. Bodenbearbeitung, Aussaat oder Ernten werden GPS-gesteuert zentimetergenau ausgeführt. Lohnunternehmer Thomas Haller aus Birrhard setzt voll auf die Digitalisierung. Er hat im letzten Jahr die 1800 Parzellen seiner Kunden elektronisch erfasst. Wenn er Arbeiten für die Bauern ausführt, werden diese im System automatisch elektronisch auf deren Parzellen eingetragen. Die Bauern wissen so jederzeit, was auf ihnen Flächen passiert.

Seinen Fahrern gibt Haller nur noch die Koordinaten vom Feld an, das sie bearbeiten müssen. Das spart viel Zeit und reduziert Fahrkilometer. „Dank GPS können wir pfeifengerade und exakt aussäen, und sparen im Vergleich zu früher Saatgut ein“, sagt er. Haller kann nachträglich auf dem Computerbildschirm bei jeder Parzelle sehen, wo das Arbeitsgerät durchgefahren ist, wo Bodenproben genommen wurden oder Pflanzenschutzmittel versprüht wurden. In diesem System sollte es deshalb nicht mehr vorkommen, dass eine Fläche versehentlich zwei Mal gedüngt wird. Falls doch, würde das System den Fahrer darauf hinweisen.

Für alle einsehbar

Daten sind also auch in der Landwirtschaft das neue Gold. Mit jedem Jahr werden mehr Informationen der Vorjahre zur Verfügung stehen, die zur Optimierung und Effizienzsteigerung genutzt werden können. Viel Potential liegt im Austausch und dem Zusammenführen von Daten, die zurzeit oft noch getrennt ohne Schnittstellen gesammelt werden. Auch die Blockchain-Technologie wird dann zum Thema. Sie wird die Transparenz und Rückverfolgbarkeit von Landwirtschaftsprodukten in neue Sphären katapultieren. Bei jeder Tomate wird es künftig möglich sein, in wenigen Sekunden herauszufinden, wo sie gewachsen ist, wer sie gepflückt hat, wie viel Pflanzenschutzmittel gespritzt wurden, wie lange sie transportiert oder bei welchen Temperaturen sie gelagert worden ist.

Der Acker wird immer gläserner. Schon heute kann jedermann im Kanton Aargau im Internet GIS-basierte Karten mit haufenweise Informationen abrufen: Beispielsweise wo die Bienenstände stehen, wo sich landwirtschaftliche Ökoflächen befinden, aber auch, wo das in der Landwirtschaft so gefürchtete Unkraut Erdmandelgras gefunden wurde. Stellt man da die betroffenen Bauern nicht an einen virtuellen Pranger? Erdmandelgras sei ein invasives Unkraut, das bekämpft werden müsse. Deshalb sei die Veröffentlichung dieser Daten vertretbar, sagt Matthias Müller, Leiter Landwirtschaft Aargau. „Aber natürlich ist bei der aktuell stattfindenden Digitalisierung in der Landwirtschaft der Datenschutz ein wichtiges Thema, das geregelt werden muss.“

Schulklasse nur noch mit Tablet

Müller selbst treibt die Digitalisierung in seinem Kanton konsequent voran und ist überzeugt, dass die Abläufe dadurch einfacher werden und letztlich in der Administration Geld eingespart werden kann. Zudem profitieren die Landwirte von den vielen Daten, mit dem sie ihren Betrieb optimieren können. Zwölf andere Kantone haben sich ebenfalls für die Einführung von AgriGIS entschieden. Das zeigt ihm, welche wertvolle Vorreiterrolle der Kanton Aargau hier spielt. Seine Bauern seien mit dem System mehrheitlich zufrieden, sagt er.

Müller ist überzeugt, dass wir erst am Anfang stehen und digitale Hilfsmittel noch viel besser genutzt werden könnten. „Alle Leute haben heute ein Smartphone im Sack.“ Das sei ein riesiges Potential. Müller plant die Einführung einer App, über das beispielsweise Erdmandelgras gemeldet werden kann, wenn es auf einem Acker gesichtet wird. „Natürlich müsste das dann zuerst von einem Experten begutachtet werden, bevor der Standort online geschaltet würde“, sagt er. Ganz ohne Mensch wird es also auch in Zukunft nicht gehen. Auch auf dem Bauernhof nicht. Doch Müller ist sicher, dass sich das Berufsbild des Bauern mit der Digitalisierung stark verändern wird: "Er wird noch mehr zum Manager werden.“ Der Nachwuchs wird konsequent für den Umgang mit digitalen Daten geschult. Ab diesem Jahr wird am Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg erstmals eine Klasse geführt, die nur noch mit Tablets arbeitet. (LID)

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