Im Interview: Conradin Bolliger

Conradin Bolliger wacht er beim schweizer Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) über die verschiedenen Marktberichte. Wenn eine Veränderung in den Daten sichtbar wird, ist Bolliger einer der ersten, der sie sehen kann. Mit Interpretationen ist er dennoch zurückhaltend – ein Gespräch mit dem LID über den Wandel in den Agrarmärkten.

Conradin Bolliger leitet den BLW-Fachbereich Marktanalyse. Bild: LID/zvg.

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Was verändert die Agrarmärkte in der Schweiz?

Conradin Bolliger: Das ist die richtige Frage für den Anfang. Es gibt viele Faktoren, die die Agrarmärkte verändern. Und selten ist es einer allein, vielfach sind es mehrere Faktoren gleichzeitig.

Ist es letztlich nicht die Politik, die die Rahmenbedingungen setzt.

Die Rahmenbedingungen schon. Es gibt auch demografische Entwicklungen, die zu Veränderung führen. Nehmen wir als Beispiel die Zuwanderung. Als in den 60er- und 70er Jahren viele Italiener einwanderten, hat das zur Nachfrage nach bestimmten Produkten geführt, die vorher bei uns deutlich weniger wichtig waren wie beispielsweise Tomaten. Der Fleischkonsum verändert sich ebenfalls aufgrund demografischer Veränderungen - Schweinefleisch wird weniger wichtig, Pouletfleisch hingegen nimmt an Bedeutung zu. Das sind keine von der Politik gemachten Veränderungen, sie entstehen aufgrund der Zuwanderung aus Ländern, in denen aus religiösen Gründen Schweinefleischkonsum verboten ist. Ebenso verändert die Zunahme von Einpersonenhaushalten oder eine laufend älter werdende Gesellschaft das Nachfrageverhalten und damit letztlich auch Märkte.

Sind denn die Erwartungen der Konsumenten die größten Treiber für Veränderung?

Nicht zwingend, nein. Schauen Sie sich zum Beispiel die Trinkwasser- und die Pestizid-Verbots-Initiative an. Das sind Bedürfnisse, die aus dem Umweltbereich von unabhängigen Gruppen der Gesellschaft kommen, und unter Umständen einen großen Einfluss auf die Agrarpolitik haben werden. Das ist keine Konsumentenbewegung, sondern eine gesellschaftliche Bewegung, die dann vielleicht beim Konsumenten ankommt. Ähnlich verhält es sich mit dem Tierschutz.

Es ist also eine Mischung aus verschiedenen Motivationen, die Wandel vorantreibt?

Genau. Bei der Veganismus-Bewegung ist das zum Beispiel etwas anders; diese ist stärker eine Konsumentenbewegung, die sich auf den Handel auswirkt. Obwohl sich sehr wenig Menschen vegan ernähren, hat der Detailhandel begonnen, die Bedürfnisse mit entsprechenden Produkten zu befriedigen.

Ist es der Handel, der ein Bedürfnis schafft? Oder ist es der Handel, der auf die Bedürfnisse reagiert?

Das Eine schliesst das Andere nicht aus. Der Handel funktioniert bei Produkt-Einführungen häufig nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Die Zeit für vertiefte Abklärungen ist nicht da. Produkte werden lanciert, wenn es funktioniert ist gut, ansonsten wird das Produkt wieder aus dem Sortiment genommen. Natürlich werden Trends aufgenommen, aber gleichzeitig wird versucht, Trends zu setzen. Gesellschaftliche Grundströmungen werden aber sicherlich aufgenommen, das ist wichtig für den Handel.

Das wäre dann die vegane Bewegung?

Zum Beispiel. Aber auch die Bio-Bewegung begann mit einigen wenigen Produkt-Einführungen vor etwas mehr als 25 Jahren. Die Bio-Bewegung konnte sich erst langsam am Markt etablieren, zuerst lag der Fokus auf der Direktvermarktung. Und erst mit der Zeit haben die Konsumenten die Produkte gekauft. Wäre das nicht geschehen, würde es Bio heute in dieser Form wohl nicht geben. Bio-Produkte sind heute nicht mehr weg zu denken und zu einem starken Wachstumstreiber des Detailhandels geworden. Produkte wie Emmi-Caffè-Latte oder generell Convenience Food sind nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil sich das Konsumbedürfnis verändert hat. Hier liegt der Fokus auf den Faktoren Zeit und Mobilität. Der Milchkaffee am Morgen für unterwegs und das zubereitete Mittagessen. Es liegt auf der Hand, dass sich der Handel diese Bedürfnisse zunutze macht und entsprechende Produkte anbietet.

Der Schweizer Detailhandel ist stark vom orangen Duopol geprägt. Wie stark ist der Einfluss von Migros und Coop auf die Marktsysteme?

Migros und Coop sind dominierend. Aber in einigen Märkten muss man differenzieren. So ist auch die Fenaco ein entscheidender Marktakteur - insbesondere in der Verarbeitung ist Fenaco ähnlich stark wie Migros und Coop.

Also sind es drei wesentliche Akteure, die die Agrarmärkte mitgestalten?

Es sind diese drei Akteure, die durchaus auch politischen Einfluss nehmen - der Einfluss ist heute aber geringer, als früher. Der Markteintritt von Aldi und Lidl hat etwas Bewegung ausgelöst. Historisch gesehen sind Migros, Coop und Fenaco Genossenschaften. Und die drei Firmen haben zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Kartelle aufgebrochen: Als Coop Anfang des 20. Jahrhunderts noch Verband schweizerischer Konsumvereine (VSK) hieß, musste der VSK eigene Fabriken eröffnen, weil er von Fabrikanten nicht mit Waren beliefert wurde. Coop hatte damals auch eigene Landwirtschaftsbetriebe, um günstiger einkaufen zu können. Migros hat ebenfalls ihre M-Industrie aufgebaut, weil sie in ihren Anfängen nicht mit Waren beliefert wurde. Denner zum Beispiel hat gegen das Tabak- und das Bierkartell gekämpft, um zu günstigeren Preisen zu kommen. Und heute kämpften die Detailhändler gegen Nahrungsmittelmultis wie Mondelez oder Nestle. Zwar haben sich die Größenordnungen verändert - unter dem Strich ging und geht es aber immer um die Einkaufsmacht. Und das setzt auch die Landwirte unter Druck.

Sie beobachten beim Bundesamt für Landwirtschaft die Agrarmärkte. Welche Konsequenzen hat die Marktstruktur mit der teilweisen starken Marktkonzentration auf die Preisbildung von landwirtschaftlichen Produkten?

Monopolistische Marktstrukturen führen immer auch zu monopolistischen Preisen - das ist klassische Wirtschaftstheorie. Deshalb ist es für jedes Unternehmen wichtig, mit innovativen Produkten am Markt zu sein. Damit kann ein monopolistischer Preis gesetzt werden. Bis die Konkurrenz ebenfalls in diesen Markt vorstösst, kann man den Markt abschöpfen. Hat man zwei grosse Firmen, die im gleichen Markt tätig sind, hat das natürlich auch ein Preiskampf zur Folge.

Führt dieser Druck zum Strukturwandel, wie man ihn beobachten kann?

Ich denke, es ist der demografische Wandel auf den Landwirtschaftsbetrieben, der stärker zum Strukturwandel beiträgt, viele ältere Landwirte, die keine Hofnachfolge haben. Natürlich macht auch der Preisdruck das Leben nicht einfacher. Aber schlussendlich ist es auch eine Frage der Perspektive. Meiner Meinung nach wäre es schlimmer, wenn es keinen Wandel gäbe. Den Status Quo zu verteidigen, bringt die Gesellschaft nämlich nicht weiter. Es braucht auch in der Landwirtschaft neue Perspektiven.

Historisch hat es immer Veränderung gegeben. Wie kommt es dann, dass man sich einerseits damit zwar auseinandersetzt, andererseits aber Angst vor der Veränderung hat und den Wandel auch politisch bekämpft?

Das hat mit uns Menschen zu tun. Im Detailhandel wird der Wandel angestrebt. Der Landwirt seinerseits ist mit anderen Herausforderungen konfrontiert - das Wetter und die Tiere verlangen viel Aufmerksamkeit, zudem soll er sich noch mit der Agrarpolitik und der Digitalisierung auseinandersetzen. Es ist ganz klar, dass da Welten aufeinandertreffen.

Wenn es um Veränderung geht, spricht man auch von der schöpferischen Zerstörung. Tut man sich in der Schweiz schwer damit, diesen Wandel zuzulassen?

Man hat nicht nur in der Schweiz Angst vor der schöpferischen Zerstörung. Man versucht stattdessen mit Händen und Füßen zu bewahren, was man zu bewahren hat. Ich glaube, durch die Globalisierung hat sich viel verändert. Die Digitalisierung bringt eine zusätzliche Beschleunigung. Ganze Produktionsstätten können heute verlagert werden, Tätigkeiten durch Roboter zu ersetzen ist ein nächster Schritt - und das schürt Ängste. In der Landwirtschaft ist es noch einmal anders: weil die Unterschiede zum Ausland so groß sind, erscheinen Veränderungen noch beängstigender, weil vermutlich die Preise noch stärker unter Druck kommen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass ich mich gegen zu große Veränderungen auch zur Wehr setzen würde.

Wie gehen Sie damit um, dass die Marktberichte letztlich nur einen Teil der Welt abbilden können?

Ich fühle mich wohl in dieser Unsicherheit. Außerdem ist unsere Welt so komplex geworden, dass wir sie kaum mehr einfach abbilden können. Unsere Aufgabe ist es, die Komplexität so aufzulösen, dass man die Sachverhalte verstehen kann, ohne sie dabei zu banalisieren.

Ist das die Erkenntnis nach zwanzig Jahren in den Lebensmittelmärkten?

Die Erkenntnis nach zwanzig Jahren in den Agrar- und Lebensmittelmärkten ist, dass es insgesamt ein sehr emotionales Thema ist. Nahrungsmittelproduktion, Landwirtschaft, Konsum, das betrifft und berührt uns alle, jeden Tag. Unsere Aufgabe in diesen Agrarmärkten einen objektiven Blick auf Entwicklungen zu erreichen, ist sehr spannend und herausfordernd. Dabei beobachten wir und möchten Daten basiert Entwicklungen erklären. Wir versuchen nicht, uns in die Interpretation von Ereignissen zu versteigen. Transparenz in den Märkten zu schaffen, das ist unsere Aufgabe.

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