Helix: Alternative Wasserressourcen nutzen

Der fortschreitende Klimawandel sowie die Urbanisierung mit der damit einhergehenden Nachverdichtung stellen große Herausforderungen für Städte und Gemeinden dar und bringen teils sehr widersprüchliche Anforderungen mit sich.

Da für die Unterkonstruktion Trägerschienen aus verzinktem Stahl vertikal an die Wand angebracht werden, ist ‘Biomura‘ vergleichbar mit einer vorgehängten, belüfteten Fassade. Bild: Julian Rettig/Helix.

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Steigende Temperaturen und die Zunahme an Hitzetagen führen einerseits zu einem deutlichen Mehrbedarf an kühlendem Grün, diesem steht jedoch andererseits ein extremer Druck auf die verbleibenden Freiflächen gegenüber. Dazu kommt, trotz in Summe gleichbleibenden Jahresniederschlägen, eine stetige Abnahme an pflanzenverfügbarem Wasser. Der Grund dafür sind sowohl die immer länger anhaltenden Trockenperioden in den Sommermonaten, als auch die Tatsache, dass der heute häufig geballt auftretende Niederschlag vor allem bei der zunehmenden Versiegelung der Flächen unmittelbar abgeleitet wird. Während also das Wasser ungenutzt in die Kanalisation fließt, vertrocknen gleichzeitig die Bäume in den Städten. Was kann man dagegen tun? Wie lässt sich der zunehmende Wasserbedarf des Stadtgrüns stillen? Wie und wo kann das anfallende Regenwasser im urbanen Raum gespeichert werden? Und woher kommt Wassernachschub für kühle Parks, schattenspendende Bepflanzung und Fassadenbegrünung, wenn es längere Zeit nicht regnet - gibt es hier Alternativen zu Trinkwasser?

INTERESS-I

Das Forschungsprojekt INTERESS-I („Integrierte Strategien zur Stärkung urbaner blau-grüner Infrastrukturen“), das im Oktober 2018 startete, hat sich auf die Suche nach Antworten zu diesen Fragen gemacht. Die am Projekt beteiligten Partner lassen sich den vier Themenfeldern blaue Infrastruktur, grüne Infrastruktur, Klima-Resilienz und Stadtgesellschaft zuordnen: Neben der Universität Stuttgart, der TU Kaiserslautern, der TU München, dem Institut für sozial-ökologische Forschung ISOE sind das die Städte Stuttgart und Frankfurt am Main sowie das auf Fassadenbegrünung spezialisierte Unternehmen Helix Pflanzen. INTERESS-I endete im Januar 2022; der Schlussbericht wird in wenigen Wochen erscheinen.

Vier städtebauliche Pilotgebiete in Frankfurt und Stuttgart waren die zentralen Arbeitsfelder für das Forschungsprojekt. Sie wurden wegen ihrer unterschiedlichen Maßstäbe (von Stadtteil bis Blockbau) und Planungsvoraussetzungen (von Neubau bis Bestandsentwicklung) ausgewählt. Eines dieser Gebiete liegt direkt im Herzen der baden-württembergischen Landeshauptstadt: das Rosensteinviertel. Durch den Gleisrückbau im Rahmen von Stuttgart 21 wurde direkt hinter dem Bahnhof eine Fläche von rund 85 Hektar frei, auf der in den nächsten Jahren ein komplett neuer Stadtteil entstehen wird. Am Rande dieses Pilotgebietes wurde im Rahmen von INTERESS-I im Juli 2020 auch ein sogenanntes Impulsprojekt in Betrieb genommen: ein temporäres, offenes Labor, das allen Interessierten rund eineinhalb Jahre lang Einblicke in die Forschungsarbeit bot.

Regen- und Grauwasser

Kernstück des Labors waren zwölf mehrgeschossige Wohncontainer, in denen Arbeiter während ihres Einsatzes auf der Großbaustelle untergebracht waren. Drei Komponenten machten die Container zum Impulsprojekt: eine Retentionszisterne, Vertikalbegrünungselemente sowie ein bepflanzter Bodenfilter.

Die Retentionszisterne, in der der Regen vom Dach der Container gesammelt wurde, hatte zwei Funktionen: Zum einen die Speicherung des Wassers für die Pflanzen, zum anderen eine Entlastungsfunktion für die Kanalisation bei Starkregenereignissen. Die Zisterne wurde ganz bewusst nicht unter der Erde versteckt, sondern blieb sichtbar. So konnte sie zudem auch als eine Art Litfaßsäule genutzt werden, an der das gesamte Projekt vor Ort erklärt wurde.

Bei der Pflanzenversorgung im urbanen Raum sollte aber nicht ausschließlich auf Regenwasser gesetzt werden, denn das reicht bei längeren Trockenperioden nicht aus. Wesentlich zuverlässiger und kontinuierlicher fällt dagegen Abwasser an. Man geht davon aus, dass es bei Wohngebäuden pro Tag und Einwohner etwa 45 Liter schwach belastetes Grauwasser - also aus Duschen, Waschbecken usw. - sind. In der Regel wird dies nicht getrennt abgeleitet, sondern fließt zusammen mit den Toilettenspülungen über die Kanalisation in die Klärwerke. Beim Impulsprojekt wurde es dagegen separat aufgefangen und von den Wohncontainern in den aufgestellten Bodenfilter geführt.

Bereits im Vorfeld gab es an der TU Kaiserslautern weitergehende Untersuchungen mit Bodenfiltersäulen unterschiedlichen Aufbaus. Ziel war es, stets eine für Pflanzenbewässerung geeignete Qualität zu erzielen. Auf dem Versuchsgelände der Universität wurde das aufbereitete Wasser an einer begrünten Wand, die von Helix Pflanzen bereitgestellt wurde, getestet. Für das Verfahren des Bodenfilters hatte sich gezeigt, dass eine in den Speicher integrierte Siebung zur Grobstoffentfernung geeignet ist und demnach auf eine aufwändig ausgeführte Vorklärung des Grauwassers etwa mittels Mehrkammergrube verzichtet werden kann. So konnte die Anlage deutlich kleiner dimensioniert werden, was auch für zukünftige Einsätze im innerstädtischen Raum deutlich vorteilhaft ist.

Knapp 400 Liter schwach belastetes Grauwasser konnten pro Tag in dem direkt vor den Wohncontainern aufgebauten, bepflanzten Bodenfilter gereinigt werden. Zwei mit Lava- und Rheinsand befüllte Kammern wurden darin vertikal durchströmt. Dabei kamen unterschiedliche Reinigungsprozesse zum Tragen: Bereits der Schilfbewuchs hat einen klärenden Effekt, daneben bauen auch die Bakterien im Boden Verunreinigungen ab. Zusätzlich zu diesen biologischen Prozessen konnte eine große Anzahl an Stoffen durch die Filterleistung des Bodens und Adsorptions- und Absetzungsprozesse beseitigt werden. Im Anschluss erfolgte eine weitere Hygienisierung des Wassers mit UV-Lampen.

Vertikalbegrünung dreimal anders

Drei verschiedene Vertikalbegrünungssysteme aus dem Helix Pflanzen Programm kamen beim Impulsprojekt in Stuttgart zum Einsatz. Im Erdgeschoss der Container war es 'Elementa', ein Produkt, das sonst zumeist als Lärmschutzwand verbaut wird: In Körben aus verzinktem Stahlgitter, gefüllt mit Spezialsubstrat, wuchsen Lavendel und verschiedene Stauden. Profilschienen sowie Verschraubungen ermöglichen bei diesem System, dass es sich im Baukastenprinzip beliebig erweitern lässt.

Auf der mittleren Containerebene fand das System 'Elata' seinen Platz. Kletterpflanzen wie Efeu wuchsen hier in mit Granulat gefüllten, speziellen Kästen und berankten ein stabiles Metallgitter. So bildeten sie schon nach kürzester Zeit eine üppig grüne Pflanzenwand. Bei den Wohncontainern standen die Pflanzkästen auf einem Gerüst vor der Fassade, bei stabileren Bauten lassen sie sich sonst aber auch direkt an der Wand verankern.

Das System'‘Biomura' wurde ganz oben installiert. Die aus recyceltem Kunststoff hergestellten Pflanzkassetten sind 60 mal 45 Zentimeter groß und verfügen über je 16 Pflanzlöcher. Die eingesetzten Stauden und Kräuter wachsen in einer anorganischen Mineralwolle mit sehr niedrigem Trockengewicht. Da für die Unterkonstruktion Trägerschienen aus verzinktem Stahl vertikal an die Wand angebracht werden, ist '‘Biomura' vergleichbar mit einer vorgehängten, belüfteten Fassade.

„Insgesamt 14 verschiedene Pflanzenarten wurden für die Vertikalbegrünung des Forschungsprojekts INTERESS-I ausgesucht“, erklärt Hans Müller, Geschäftsführer von Helix. „Durch die Auswahl und Kombination konnten wir gewährleisten, dass sich alle drei Systeme auch in den Wintermonaten attraktiv und grün zeigen. Leistungsfähige Pumpen und eine hochwertige Steuerungsanlage, die sowohl Daten von Sensoren erfasste wie auch Ventile steuerte, sorgten dafür, dass gereinigtes Grauwasser oder gesammeltes Regenwasser aus der Zisterne ständig bedarfsgerecht zur Verfügung standen. Auf eine zusätzliche Trinkwasserzufuhr konnte vollständig verzichtet werden.“

Impulse setzen

Im Rahmen des Forschungsprojekts INTERESS-I wurden mikroklimatische Parameter im Umfeld der Wohncontainer und der Fassadenbegrünungssysteme erfasst, es wurde gemessen, welche Reinigungsleistung verschiedene Sandstrukturen bei leicht verschmutztem Grauwasser haben, die Bewohner der Container wurden befragt, was sich für sie subjektiv durch mehr Grün im Wohnumfeld geändert hat … all das sind für die Projektpartner wichtige, aufschlussreiche Daten und Informationen. Wie der Name „Impulsprojekt“ aber schon vermuten lässt, sollten nicht nur Messwerte gesammelt, sondern vor allem Impulse gesetzt werden. Von Stuttgart ausgehend möchten man mit dem Projekt einer möglichst breiten Öffentlichkeit - von Stadtplanern, über Kommunen bis zur Wohnungsbauwirtschaft - demonstrieren, wie zukünftig Bewässerungsbedarf und Abwasserentsorgung zusammen gedacht werden sollten, wie alternative Wasserressourcen zu erschließen sind und wie eine nachhaltige und innovative Versorgung des Stadtgrüns gewährleistet werden kann.

Was hier im Kleinen funktioniert hat, lässt sich sowohl auf Einzelgebäude als auch in der Stadtentwicklung systematisch auf ganze Neubaugebiete übertragen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist vor allem, dass verschiedene Disziplinen gut zusammenarbeiten. Wird blau-grüne Infrastruktur gemeinsam gedacht, geplant und umgesetzt, kann etwas entstehen, das langfristig dem einzelnen Bauwerk, dem urbanen Raum und den Menschen in Städten und Gemeinden zugutekommt. (Helix)

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