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Schweiz: Der Ukraine-Krieg und die Folgen
Spürbar ist der Konflikt am ehesten bei den Preisen für Düngemittel. Sie schießen massiv in die Höhe. Zudem zeichnet sich weltweit eine Verknappung ab. Für die Landwirtschaft und den Gartenbau eine ernstzunehmende Situation. Denn Dünger ist unerlässlich für die Bereicherung des Nährstoffangebots bei den Kulturpflanzen. Die mineralischen Stoffe und Stoffgemische sorgen für schnelleres Wachstum und höhere Ernteerträge.
Düngerpreise ums Zwei- bis Dreifache gestiegen
Wie schätzt das Bundesamt für Landwirtschaft BLW die derzeitige Situation auf dem Schweizer Düngermarkt ein? "Im Allgemeinen sind die Preise für Stickstoffdünger im Vergleich zum Jahresbeginn 2021 um das Zwei- bis Dreifache gestiegen", sagt Mediensprecherin Florie Marion. Verschiedene Faktoren spielten dabei eine Rolle: Der außergewöhnliche Preisanstieg und die begrenzte Verfügbarkeit beim Erdgas. Dieser Energieträger würde für die Herstellung von Ammoniak benötigt. Die Produktion von Stickstoff sei derzeit so teuer, dass in Europa einige Fabriken auf Leerlauf umgeschaltet hätten oder ganz stillgelegt worden seien.
Florie Marion nennt als weitere Faktoren die Einschränkung des russischen Angebots und die steigenden Frachtkosten. "Die Probleme auf dem Düngermarkt haben aber schon vor dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine begonnen." – Wie reagiert jetzt die Landwirtschaft auf die prekäre Situation, herrscht Panik? "Für das laufende Jahr haben die Landwirte und Landwirtinnen bereits die Bestellungen beziehungsweise den Kauf von Mineraldünger getätigt", sagt die Mediensprecherin des BLW.
Deutschland und Frankreich wichtigste Lieferanten von kalireichen Düngemittel
Etwa 40% des Kalidüngers auf dem Weltmarkt sollen aus Russland und Weißrussland stammen. Diese Lieferketten sind derzeit aber lahmgelegt. Können die Ausfälle durch andere Exportländer kompensiert werden? "Die Schweiz importierte 2021 rund 11% der kalireichen chemischen Düngemittel aus Russland und etwa 5% aus Weißrussland", sagt Florie Marion. "Zudem stammen 10% der chemischen Düngemittel, die aus mehreren Nährstoffen bestehen, aus Russland. Deutschland und Frankreich sind mit rund 70% für die Schweiz die wichtigsten Lieferländer für kalireiche Düngemittel.»
Weiterer Preisanstieg beim Dünger möglich
Die landwirtschaftlichen Böden in der Schweiz seien gut mit Kali versorgt und auch Hofdünger sei eine hervorragende Quelle, um die Fruchtbarkeit der Böden zu erhalten, führte die Mediensprecherin weiter aus. Ein möglicher Ausfall der Lieferungen kalireicher Mineraldünger aus Russland und Weißrussland sollte daher nicht gleich ersetzt werden. "In Fällen, in denen ein Lieferant eine Belieferung nicht mehr sicherstellen kann, sucht die Wirtschaft rasch nach alternativen Lieferquellen. In welchem Umfang dies derzeit möglich ist, wissen die Anbieter von Düngemitteln. Generell kann gesagt werden, dass je höher der Mengenausfall ist, desto schwieriger sind Ersatzbeschaffungen." – Wird sich die Preisspirale beim Dünger noch weiter nach oben drehen? Die BLW-Sprecherin schliesst das nicht aus. "Aufgrund der aktuellen politischen Lage und der weltweiten Entwicklung von Angebot und Nachfrage ist es denkbar, dass die Preise weiter steigen werden", sagt sie.
Der Druck auf die landwirtschaftlichen Produktionskosten steigt durch hohe Düngerpreise
Auf dem Schweizer Dünger-Markt sind derzeit die hohen Preise das Hauptproblem. Diese Entwicklung bereiten auch Jürg Friedli, Geschäftsleiter bei Landor fenaco, und Fenaco-Mediensprecher Samuel Eckstein große Sorgen."Der notwendige Dünger für die Pflanzenbausaison 2022 ist dank dem Schweizer Vorbezugssystem zu einem guten Teil schon auf den Bauernhöfen. Die Waren sind also verfügbar", heißt es bei der Genossenschaft. "Mit der aktuellen Lage steigt allerdings der Druck auf die Produktionskosten der Bauernfamilien."
Bei der Preisentwicklung keine Entspannung in Sicht
Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) schreibt vor, dass der schweizweite Jahresbedarf für Stickstoffdünger eingelagert werden muss. Nützt diese Vorschrift in der gegenwärtigen Situation? "Die Pflichtlagerhaltung für Stickstoffdünger ist sicher sinnvoll. Falls sich die Krise weiter verschärfen sollte, könnte man auf diese Bestände zurückgreifen. Dünger ist genügend verfügbar", heißt es bei Landor fenaco weiter. In punkto Preisentwicklung auf dem Dünger-Markt sieht man vorerst aber keine Entspannung. Zuverlässige Prognosen für die weitere Entwicklung seien derzeit nicht möglich.
Hauptgrund der Preissteigerung ist die wachsende Weltbevölkerung
Der Ukraine-Krieg ist für Landor fenaco nicht der eigentliche Preistreiber. "Wie überall bildet sich der Preis nach Angebot und Nachfrage. Weltweit gesehen ist der Hauptgrund die wachsende Weltbevölkerung. Länder wie China und Indien mit jeweils über einer Milliarde Menschen haben einen steigenden Bedarf an Nahrungsmitteln. Entsprechend steigt auch die Nachfrage nach Düngemitteln, um diese Nahrungsmittel zu produzieren", heißt es beim größten Düngermittellieferanten der Schweiz.
Angespannte Situation bei den Gemüseproduzenten
Ohne Dünger keine Ernte oder nur eine sehr dürftige. An dieser Tatsache kann auch der Verband der Schweizer Gemüseproduzenten (VSGP) nichts ändern. – Lösen die Probleme auf dem Düngermarkt jetzt bei den Schweizer Gemüseproduzenten Panik aus? "Die Situation ist schon seit geraumer Zeit angespannt", sagt Markus Waber, stellvertretender VSGP-Direktor und Bereichsleiter für Kommunikation, Marketing und Berufsbildung. "Seit Monaten beobachtet man Lieferengpässe und Preisanstiege bei fast allen Vorleistungen. Es wäre falsch in Panik zu verfallen. Eine vorausschauende Planung ist aber in jedem Fall geboten", sagt Markus Waber. – Nützt die durch das BWL vorgeschriebene Einlagerung von Stickstoffdünger den Gemüseproduzenten in der jetzigen Situation? "Das WBF hat dieses Pflichtlager aufgrund der angespannten Versorgungslage bereits im Dezember freigegeben", sagt Markus Waber. Das Pflichtlager-System biete eine gewisse Sicherheit auf absehbare Zeit, wovon auch die Gemüseproduzenten profitierten. So sollte die Düngerversorgung für den Saisonstart gesichert sein. Der VSGP beobachte die weitere Entwicklung.
"Preiskampf des Detailhandels auf dem Rücken der Gemüseproduzenten"
Neben dem Preisschub beim Dünger fallen für die Gemüseproduzenten aber auch die sehr hohen Preise für Gas ins Gewicht. Damit müssen die Gewächshäuser beheizt werden. Die Preisspirale wird sich möglicherweise beim Dünger und beim Gas weiter nach oben drehen. – Stehen durch diese drohende Entwicklung demnächst viele Gemüseproduzenten vor der Existenzfrage? "Auf Grund der herrschenden Inflation haben die Produzenten bei allen Positionen mit steigenden Kosten zu kämpfen. Darunter fallen Vorleistungen, Verpackung und Transport", sagt Markus Waber. "Zum Saisonstart herrscht große Unruhe, weil der Detailhandel seit geraumer Zeit einen harten Preiskampf auf dem Rücken der Produzenten austrägt. Wir beobachten, dass Produzenten mit Blick auf die steigenden Kosten auch teilweise bereits vereinbarte Preise bei den Abnehmern korrigieren konnten. Wenn der Detailhandel aber nicht dazu bereit ist, gefährdet er in der Tat die Existenz gewisser Betriebe – insbesondere jener, welche noch mit den Folgen des letzten Jahres zu kämpfen haben. Dazu gehören Ernteverluste und Infrastrukturschäden."
Wie reagiert der Detailhandel auf allfällige Auswirkungen durch den Ukraine-Krieg?
Preisschübe beim Getreide – vor allem beim Weizen – Lieferengpässe oder -ausfälle wirken direkt auf die Nahrungsmittel. Brot und Teigwaren werden in nächster Zeit voraussichtlich spürbar teurer. Aber auch die Versorgung mit Mais, Soja, Sonnenblumen-Rohöl und anderen Nahrungsmittelgrundstoffen wird schwieriger. Russland und die Ukraine gehören zu wichtigen Exporteuren dieser lebensnotwendigen Güter. – Wie reagiert der Detailhandel – ist mit Auswirkungen auf das Lebensmittelsortiment in den Läden zurechnen? "Dies ist aktuell nicht der Fall", sagt Kevin Blättler, Mediensprecher bei Coop. "Die Bedeutung von Produkten aus der Ukraine ist bei Coop marginal. Wir setzen auf ein breites Sortiment und eine längerfristige Lagerplanung. Generelle Engpässe sind kein Thema." Sind infolge des Konflikts in Osteuropa höhere Konsumentenpreise zu erwarten? Mittelfristig werden bei Coop keine Auswirkungen auf die Preise oder auf die Beschaffung von Gütern erwartet. "Die letztjährige Ernte ist bereits in unseren Lagern", sagt der Coop-Sprecher. "Längerfristig gilt es die Entwicklung abzuwarten." Gibt es bei Coop einen Plan B um die Auswirkungen des Ukraine-Krieges abzufedern? "Wir haben eine Taskforce einberufen, welche die Situation genau beobachtet und gegebenenfalls Maßnahmen umsetzt", sagt der Mediensprecher.
Auch die Migros hat die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf das Ladensortiment unter Kontrolle. "Die Rohstoffsituation ist bekanntermaßen bereits angespannt und der Krieg in der Ukraine wird nicht zu einer Entspannung beitragen, im Gegenteil", sagt Medienstellen-Leiter Marcel Schlatter. "Unsere Produktionsbetriebe beziehen in der Tat relevante Mengen an Sonnenblumenöl aus der Ukraine, es läßt sich im Moment aber noch nicht abschätzen, wie stark wir von Lieferausfällen betroffen sein werden. Wir sind im Moment daran, uns einen Überblick zu verschaffen und mögliche Alternativen zu prüfen." Preiserhöhungen im Laden könnten per se nicht ausgeschlossen werden, sagt der Medienstellen-Leiter. Wegen der Probleme in der globalen Logistik sowie aufgrund von Ernteausfällen habe es bereits Anfang Jahr bei einigen Produkten Preiserhöhungen gegeben. Wenn immer möglich beziehe die Migros ihre Produkte aus der Schweiz, sagt Marcel Schlatter. "Bei den Lebensmitteln stammen heute rund 70% des Angebots von hier. Aufgrund des knappen Angebots ist eine Steigerung aber nicht so einfach möglich."
Bei den Landi-Läden wird laut Fenaco damit gerechnet, dass es bei gewissen Produkten wegen des Konflikts in der Ukraine zu Lieferschwierigkeiten kommen könnte, beispielsweise bei Gartenholz, Brennstoffen und Metallwaren. Bereits jetzt werde nach entsprechenden Alternativen gesucht, heißt es. Der Konflikt in Osteuropa und die Weltwirtschaftslage gemeinhin sorgten für den weiteren Anstieg der bereits erhöhten Preise für Rohstoffe und Energie. Dies wirke sich auf die Beschaffungs- und Logistikkosten der Landi-Läden aus. Soweit möglich würde dieser Anstieg kompensiert, wo es aber nicht möglich sei, müssten punktuelle Preiserhöhungen vorgenommen werden.
Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges können für große Teile der Welt fatale Folgen haben
Die Schweizer Landwirtschaft dürfte bei der Ukraine-Krise mit einem blauen Auge davonkommen. Jedenfalls beurteilt das BLW die Auswirkungen des Krieges in Osteuropa gegenwärtig nicht als dramatisch. "Die Versorgung mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln ist derzeit sichergestellt", sagt BLW-Sprecherin Florie Marion. Die Inlandproduktion trage wesentlich zur Selbstversorgung bei. Gleichwohl seien aber auch Importe nötig. Ob und in welchen Bereichen Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf Importe mit Nahrungsmittel zu erwarten seien, werde derzeit umfassend analysiert. Sollten Engpässen auftreten, dann stünden Pflichtlager für Grundnahrungsmittel zur Verfügung.
Fatale Folgen für ärmere Länder
Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges können aber für große Teil der Welt fatale Folgen haben, denn Russland und die Ukraine richten mehr als einen Viertel der jährlichen Weltproduktion von Weizen aus. Durch Zerstörung der Ernte in der Ukraine und harte Sanktionen gegen Russland explodieren die Brotpreise und Getreidelieferungen werden knapp oder fallen ganz aus. Die hauptsächlichen Importeure von Brotgetreide sind arme Länder in Afrika, Nordafrika und Westasien. Dazu gehören Ägypten, Libyen, Tunesien, Jemen, der Libanon, die Türkei, Indonesien, die Philippinen und Bangladesch. Die Versorgung dieser bevölkerungsreichen Länder mit Grundnahrungsmitteln ist gefährdet. Agrarexperten und Hilfsorganisationen schlagen Alarm. Das Welthungerproblem wird sich weiter ausdehnen.
Um die landwirtschaftliche Produktion und die Lieferketten nach dem Krieg wieder herzustellen, braucht es Zeit. Experten gehen davon aus, dass die Erholung beim Weizen länger dauert als bei Erdöl und Gas. Daher bleiben die globalen Agrarmärkte für neue Krisen anfällig, auch wenn andere Teile der Welt ihre Produktion steigern. Die Weizenversorgung ist seit längerem problematisch. Schlechte Ernten sorgen für halbvolle und leere Lager. Wegen Corona sind die Lieferketten bereits gestört worden und die Energie- und Frachtpreise stiegen.
Auch wenn die Französische Revolution 1789 durch die Erhöhung des Brotpreises ausgebrochen war und in der Folge vielerorts für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sorgte, wird das jetzt kein Trost sein für die Menschen, die sich kein Brot mehr kaufen können. (lid)
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