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WTO: Gefahr für den Schweizer Gemüsebau
Die Europäische Union will Bewegung in die WTO-Verhandlungen bringen und ist deshalb bereit, auf sämtliche Exportsubventionen zu verzichten.Damit wächst auch der Druck auf die Schweiz, die Zölle zu senken. Ein Alarmsignal für die Gemüseproduzenten.
Seit dem Fehlschlag von Cancún dümpelten die WTO-Verhandlungen vor sich hin. Damit nun doch Bewegung in die Verhandlungen kommt und wenn möglich noch vor der Sommerpause ein entscheidender Durchbruch geschafft werden kann, hat die Europäische Union am Montag, 10. Mai bekannt gegeben, alle ihre Exportsubventionen zum Verhandlungsgegenstand zu machen. Damit stehen rund 2,8 Mrd. Euro (4,3 Mrd. Franken) auf dem Spiel, die die EU jährlich für Exportsubventionen ausgibt, vor allem für Zucker, Fleisch und Milchprodukte. Ferner zeigt sich die EU bereit, bei den so genannten Singapur-Themen den Entwicklungsländern entgegenzukommen und allenfalls den Investitionsschutz, die Wettbewerbspolitik und das öffentliche Beschaffungswesen fallen zu lassen.
Hoffnung in der WTO, interne Opposition
Die Reaktionen auf den EU-Vorstoss sind unterschiedlich. Während viele WTO- und auch EU-Mitgliedländer von einem positiven Signal sprechen, protestierte Frankreich umgehend: Der Agrarminister Hervé Gaymard bezweifelte, dass das Angebot noch innerhalb des Verhandlungsmandates liege, das die Agrarminister der Kommission erteilt hätten. Auch die europäischen Bauernverbände COPA und COGECA protestierten scharf: Die EU-Kommission mache immer neue Konzessionen, während sich die USA keinen Deut bewegt hätten.
Der Vorschlag der EU kommt jetzt, weil am 13. und 14. Mai in Paris eine OECD-Ministerkonferenz zur WTO stattfand. Dass hinter den Kulissen etwas läuft, zeigten auch die kürzlichen Treffen von Bundespräsident Joseph Deiss mit dem EU-Agrarkommissar Franz Fischler sowie mit dem japanischen Agrarminister Yoshiyuki Kamei und von Kamei mit Fischler. Dabei wurde allenthalben die Freundschaft betont und die Einigkeit gegenüber den Agrarexportländern, die sämtliche Agrarstützungen lieber heute als morgen abschaffen möchten.
Das Angebot der EU ist ein substanzielles Entgegenkommen an eben jene Länder, die sich seit der WTO-Ministerkonferenz von Cancún in der Gruppe G-20 zusammengeschlossen haben. Diese Gruppe unter der Führung von Brasilien, Argentinien, China und Indien hat erst kürzlich wieder festgehalten, dass ohne substanzielle Bewegung bei den Exportsubventionen kein Fortschritt in den Verhandlungen möglich sei.
Zum vollständigen Verzicht ist die EU laut dem Handelskommissar Pascal Lamy dann bereit, "wenn sich auch alle anderen Länder bewegen". Dass heißt, dass beispielsweise auch die USA ihre Praxis der Exportkredite oder der Nahrungsmittelhilfe aufgeben müsste und Australien oder Kanada ihre staatlichen Handelsmonopole.
Schweiz gerät stärker unter Druck
Das heißt aber auch, dass die Schweiz noch stärker unter Druck gerät. Bei den Exportsubventionen hat sich die Schweiz selber durch einen stetigen Abbau bereits stark aus der Schusslinie genommen. Konzessionen werden von der Schweiz aber vor allem beim heiklen Bereich Zölle verlangt. In der WTO wird zwar anerkannt, dass Zölle "weniger schlimm" sind als Exportsubventionen: Während Zölle bloß den jeweiligen Inlandmarkt schützen, greifen Exportsubventionen in andere Märkte ein. Trotzdem drängen die EU und die USA darauf, dass auch Zölle massiv abgebaut werden.
Am Ende der Cancún-Konferenz war die Schweiz als Leader der Gruppe G-10, der Agrarimporteure, kurz davor, mit der Gruppe G-20 eine Basis für eine Einigung zu finden. Zölle sind für die G-20 das kleinere Ärgernis als die Exportsubventionen der EU und der USA. Mit dem Vorstoß der EU ist nun aber die Schweiz – bei aller Freundschaft zwischen Bundesrat Deiss und EU-Kommissar Fischler – wieder unter Zugzwang. Dazu kommt, dass die EU drei von vier Singapur-Themen, an denen auch die Schweizer Exportindustrie interessiert ist, aus der Hand gibt. Dies ist für die Industrie ein Ärgernis und wird weiteren Unmut an der aus ihrer Sicht zu landwirtschaftsfreundlichen Verhandlungsposition der Schweiz fördern.
Feilschen über das Wie und Wie stark
Bei den Zöllen ist zum einen umstritten, wie sie abgebaut werden sollen, zum anderen, in welchem Umfang. Zur Auswahl stehen zwei Abbauformeln: Die so genannte "Schweizer Formel" sieht vor, dass alle Zollsätze auf einen bestimmten Prozentsatz gesenkt werden, hohe Zölle also stärker gesenkt werden müssen als tiefe. Und die "Uruguay Formel" sieht vor, dass alle Zölle um einen bestimmten Prozentsatz gesenkt werden. Die nach wie vor beiden mächtigsten Player EU und USA haben sich auf eine "gemischte Formel" geeinigt: Ein noch zu bestimmender Anteil der Zolllinien soll nach der Schweizer Formel reduziert werden, ein Teil nach der Uruguay-Formel und der Rest soll auf Null gesenkt werden.
Für die Schweiz hätte diese Dreiteilung den Vorteil, dass hohe Zölle auf heiklen Produkten in den Bereich der Uruguay-Formel gepackt werden könnten, damit sie nicht allzu stark abgebaut werden müssten. Wäre da nicht das harte Instrument des Capping, das die EU und die USA ebenfalls realisiert sehen wollen: Capping heißt, dass die Zölle einen bestimmten Prozentsatz des Importwertes nicht überschreiten dürfen. Gewisse Ausnahmen vom Capping wären zwar möglich, aber nur unter der Bedingung einer Ausweitung der Zollkontingentsmengen, also des "verlorenen Marktanteils". Verhandelt werden soll um Werte zwischen 100 und 200 Prozent, das heißt, Produkte dürften nicht mehr als dreimal so teuer sein wie im Ausland. Realistischerweise sei aber der Maximalwert von 200 keine Variante, obwohl die Schweiz sogar höhere Werte möchte, erklärt Christian Häberli vom Bundesamt für Landwirtschaft: Die Schweiz erhebt für Gemüse, Früchte, Butter und Fleisch Zölle von mehreren 100 bis zu 1000%. Damit ist die Schweiz in der Defensive wie kein anderes Land. Japan etwa hat lediglich auf Reis einen hohen Zoll, den es beibehalten will.
Am stärksten bedroht: Die Gemüseproduktion
Besonders hohe Zölle erhebt die Schweiz auf Gemüse. Häberli erklärt: "Für das Gemüse gibt es gar keine Marktstützung. Dafür sind die Zölle am höchsten. Die Gemüseproduzenten sind deshalb verständlicherweise besonders nervös." Sie konnten sich in der Uruguay-Runde elegant heraushalten, drohen nun aber in der aktuellen Verhandlungsrunde in den Hammer zu laufen.
Nicolas Fellay, Direktor des Verbandes schweizerischer Gemüseproduzenten, erklärt, es gehe um nichts weniger als die Existenz der Schweizer Gemüsebauern. Sie müssten ihre Preise – etwa für Zuckerhut, Chinakohl, Rosenkohl, Fleischtomaten oder Bundkarotten – um 40 bis 50% senken, um unter den neuen Einfuhrbedingungen konkurrenzfähig zu bleiben. Unter den geltenden gesetzlichen Bedingungen mit ökologischen und raumplanerischen Auflagen sei das schlicht unmöglich: "Man müsste entweder die Auflagen entschärfen oder die Gemüseproduktion aufgeben." Es blieben zwar einige Produkte, die vom Zollabbau weniger betroffen wären, etwa Salate. Sich darauf zu konzentrieren sei aber keine Option, wegen der Fruchtfolge. "Wir können nicht nur Salat und Salat und nochmals Salat produzieren", sagt Fellay.
Für die Konsumenten würde sich trotz dem massiven Preisabbau in der Produktion nicht viel ändern, das Gemüse sei nicht viel teurer als im Ausland, erklärt er weiter. Der Zwischenhandel habe in der Schweiz ganz andere, effizientere Strukturen als in den Nachbarländern.
Die Gemüseproduzenten wollen ihrer Ärger auch öffentlich kundtun: Unter dem Motto "WTO Liberalisierung: Stop" werden sie am 18. Mai mit einem Protestmarsch vors Bundeshaus auf ihre schwierige Lage aufmerksam machen, dies vorerst als begrenzter Warnstreik mit 200 Produzenten und 50 Lastwagen, wie Fellay sagt.
Roland Wyss-Aerni, lid
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