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Landvolk: Landwirte müssen Alternativen finden
Wer Malte Messerschmidt kennenlernt und erlebt, merkt schnell: „Bauernbengel“ passt zu dem 22-jährigen Agrarwissenschaftsstudenten aus Eimen im Landkreis Holzminden. Unter „bauern_bengel“ postet Malte als Agrarblogger auf Instagram Fotos und Videos von seiner landwirtschaftlichen Arbeit auf dem elterlichen Hof. Über 8.600 Abonnenten folgen ihm und wollen mehr über seine neusten Experimente auf dem Acker wissen. „Aktuell ist es Chia, den ich aufgrund der langanhaltenden Feuchtigkeit leider erst recht spät, Ende Juni, ausgesät habe. Ich liebe es, was Neues auszuprobieren – und als ich die Anzeige zum Forschungsprojekt der Uni Hohenheim gesehen hatte, stand für mich fest: Geil! Das will ich machen!“, erklärt Niedersachsens Chia-Pionier gegenüber dem Landvolk-Pressedienst und zeigt nicht ohne Stolz die gut gediehenen fast 1,40 Meter hohen Pflanzen.
„Juana“ heißt die erste deutsche Chia-Züchtung der Uni Hohenheim, die im März 2021 vom Bundessortenamt zugelassen wurde. „Eigentlich suchte die Uni Züchter, doch ich dachte mir, die brauchen auch Anbauer und meldete mich daraufhin“, beschreibt der experimentierfreudige Agrarblogger den Anfang. Auf 4.000 Quadratmetern hat er die 500 Gramm Saatgut mit einer normalen Drillmaschine in 50-er Reihenabstand ausgebracht, jetzt steht sie brusthoch mit vereinzelt schon einigen lila und weißen Blüten da. „Da die Körner so klein sind, musste ich das Saatgut mit etwas strecken, das nicht keimt. Wo der Boden besser ist, ist sie gleich gute zehn Zentimeter höher“, freut sich Messerschmidt über den guten Wuchs.
Gute 1,50 m wird die südamerikanische Pflanze, deren Samen als Superfood aufgrund ihres hohen Kalzium- und Eisengehalts und ihrer verdauungsfördernden Eigenschaften gerne im Müsli, Smoothie oder als Pudding verwendet werden. Die enorme Nachfrage nach Chia sorgte in Südamerika nicht nur für explodierende Preise, sodass sich die Bevölkerung ihr Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten konnte, sondern führte bei den dortigen Landwirten zudem zu einem vermehrten Einsatz von Pestiziden, was weder der Natur noch der Gesundheit dienlich ist. „Darin sind Gründe für den regionalen Anbau von Chia in Deutschland bzw. in Niedersachsen zu sehen. Wir haben für den regionalen Anbau mit Juana eine Sorte, die sich an das kalte Klima und die langen Sommertage in Deutschland anpassen kann, um zur Blüte zu kommen. Damit wird das Risiko entsprechender Ernteverluste durch Frost minimiert“, erklärt der Bauernbengel, der seine Chia-Pflanzen zu anfangs mehrmals mit der Hand hackte, um das Unkraut zu entfernen. Ein älterer Bauer habe ihm seine alte Oldtimer-Hacke angeboten, mit der der Agrarstudent noch zwei Mal durch die Chia-Reihen ging. Zugelassene Pflanzenschutzmittel gibt es für Chia-Pflanzen bislang nicht.
Learning by doing heißt Malte Messerschmidts Prinzip. Das fing bei der Aussaat an und wird mit der Ernte und eventueller Vermarktung aufhören. „Gedroschen wird ähnlich wie beim Raps. Das wird noch spannend, denn die Samen der zur Gattung der Salbeigewächse gehörende Chia-Pflanze, sind extrem klein. Der Drescher muss picobello sauber sein und auch hinterher ausgesaugt werden, damit nicht zu viel drinnen bleibt“, macht sich der Bauernbengel Gedanken. An Vermarktung wird er erst denken, wenn er die Pflanzen zum Blühen gebracht haben wird, denn der Junglandwirt schätzt die Abreife sehr heterogen ein. „Wenn der erste Haupttrieb schon durch ist, kommen wahrscheinlich erst die Nebentriebe zur Abreife. Diese Kultur ist eine Blackbox: Wie wächst sie? Wie entwickelt sie sich? Welche Schädlinge wird es geben? Das ist das, was mich reizt“, schildert der Chia-Landwirt, der der Uni Hohenheim Fotos und Berichte vom Entwicklungsstand der Pflanze schickt.
Doch bis dahin freut er sich über ein hoffentlich großes lila und wahrscheinlich weiß blühendes Chia-Feld in den nächsten 14 Tagen. Die ersten, zaghaften Blüten hat er vor einer Woche entdeckt, es summt und brummt trotzdem schon ordentlich. „Spannend wird, wie die Insekten darauf reagieren. Die ersten Wildbienen sind schon da“, zeigt Messerschmidt auf. Er ist froh, dass ihm sein Vater freie Hand lässt - einzige Bedingung: Malte muss sich darum kümmern. Als sein Vater vor 30 Jahren einen Betriebsunfall auf dem Hof hatte, wurden die Tiere abgeschafft und auf Ackerbau im Nebenerwerb umgestellt. „50 Hektar (ha) waren es damals, jetzt bin ich bei 100 ha und würde gerne noch mal verdoppeln“, plant der Bauernbengel, der Lupine, Raps, Gerste, Weizen, Mais, Ackerbohnen, Erbse und Sommerzwischenfrucht anbaut. „Durchs Ausprobieren müssen wir zukunftsfähig werden. Mit Raps, Weizen und Gerste kommen wir nicht weit“, sieht der 22-jährige gelernte Landwirt seine Zukunft und die der Landwirtschaft. Um dieses weite Feld zu zeigen, agiert Malte als Bauernbengel auf Instagram. Als konventioneller Landwirt nimmt seine Abonnenten und alle Interessierten digital mit auf den Acker, erklärt in seinen Videos, was er dort gerade macht und vor allem wieso das nötig ist. „Die Einteilung öko-konventionell stört mich. Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir aufhören in Schwarz und Weiß zu denken und stattdessen Alternativen suchen, indem wir das Beste aus beiden Systemen verbinden. Ich bin konventioneller Landwirt und setzte zusätzlich dabei auf regenerative Methoden, indem ich versuche durch den gezielten Einsatz von Nährstoffen das Immunsystem der Pflanze zu stärken, um so die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel weiter zu reduzieren. Das ist zu Beginn mit größerem Aufwand verbunden, aber langfristig nachhaltiger, um mehr Biodiversität zu erhalten“, zeigt der Bauernbengel seinen Weg für mehr Vielfalt in der Landwirtschaft auf, dem hoffentlich noch viele andere engagierte Landwirte auf ihre jeweilige Art und Weise folgen werden. (LPD)
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