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Schweiz: Klimawandel fordert heraus
Die Schweiz ist beim Klimawandel besonders gefordert. Aber die Landwirtschaft ist nicht nur Betroffene und Mitverursacherin, sie hat auch Lösungen in der Hand.
Die Frostnächte Ende April haben im Baselbiet und zahlreichen weiteren Regionen katastrophale Schäden an Obst und Reben angerichtet. Die rekordwarmen Monate Februar und März haben dafür gesorgt, dass die Vegetation weit voraus war. Meteo Schweiz meldet, dass 2017 der drittwärmste Frühling seit Messbeginn war. Der phänologische Frühlingsindex war heuer um 7 Einheiten früher als im langjährigen Mittel. Über die letzten 30 Jahre weist dieser Index gemäss Meteo Schweiz bei 22 Jahren eine Verfrühung der Vegetationsentwicklung aus, in nur 4 Jahren ein Normaljahr und bei nur 4 Jahren eine spätere Vegetationsentwicklung. Die Kirschenblüte 2017 hat im Baselbiet bereits Ende März gestartet, drei Wochen früher als in durchschnittlichen Jahren. Die generativen Pflanzenorgane waren somit bereits in sehr kälteempfindlichen Entwicklungsstadien, als Ende April zwei Spätfrostnächte hereingebrochen sind. Die fatale Kombination war: Zuerst rekordwarm, dann rekordkalt.
Frostschäden treffen Bauern existenziell
Die Folgen für die Landwirtschaft sind fatal. Das Baselbiet ist bekannt für seine Kirschen und Zwetschgen und produziert zwei Drittel der Schweizer Industriekirschen, 40-60% der Tafelkirschen sowie ein Viertel der Zwetschgen. Aber auch Weintrauben, Kernobst, und Beeren sind wichtige Einkommensgrundlagen unserer Bauern. Alle diese Kulturen hat der Frost Ende April hart getroffen. Bei den Kirschen hat die Nordwestschweiz nur etwa 15% einer Normalernte erreicht. Bei den Zwetschgen und Weintrauben ist ebenfalls eine sehr schwache Ernte zu erwarten. Das trifft Betriebe, welche stark auf Obst- und Weinbau setzen, in ihrer Existenz.
Deshalb greifen Kantone und der Bund Bauern mit zinsfreien Betriebshilfedarlehen und weiteren Massnahmen unter die Arme, um die finanziellen Einbussen abzufedern. Baselland hat dazu als erster Kanton in der Schweiz im Juni 2017 einen Nachtragskredit gesprochen. Fondssuisse leistet A-fonds-perdu-Entschädigungen bei Härtefällen. Die Schweizer Hagel möchte eine Frostversicherung nicht nur für Wein-, sondern auch für Obstbau anbieten. Es wird diskutiert, ob der Bund Beiträge an die Prämien leisten soll. Teure Kostenfolgen des Klimawandels.
Kirschessigfliege verursacht Aufwand und Ausfall
Den Frostschäden 2017 gehen weitere Klimakapriolen voraus: 2015 sind in einigen Gebieten Kirschen infolge der grossen Hitze und Trockenheit an den Bäumen vertrocknet. Zudem sind seit 2014 Kirschen, Trauben und Beeren ein Opfer der Kirschessigfliege, ein aus Asien eingeschleppter Schädling, der sowohl Wild- als auch Kulturfrüchte befällt. Die Kirschessigfliege konnte hierzulande nämlich erst Fuss fassen, seit für sie die Lebensbedingungen – unter anderem die milden Winter – stimmen. Eine ähnliche Entwicklung ist beim Getreide feststellbar. 2015 zum Beispiel waren trockenheitsbedingt Ertragseinbussen zu verzeichnen. 2016 sind die Körner in der Nässe des Juni noch an den Ähren ausgewachsen und somit wertlos geworden. Im August 2017 begräbt ein Jahrhundert-Bergsturz im Bergell neben Menschen und Häusern auch wertvolle Felder und Weiden, weil Permafrost und Gletscher schmelzen. All diese Ereignisse sind auf die Klimaerwärmung zurückzuführen.
Landwirtschaft als Mitverursacherin
Zweifellos gehört die Landwirtschaft zu den Opfern der veränderten klimatischen Bedingungen. Diese Aussage zielt indessen zu kurz. Wir befinden uns in einer Dreieckssituation. Die Landwirtschaft ist zugleich Mitverursacherin und Opfer des Klimawandels. Sie kann aber auch Teil der Lösung des Problems werden.
Die Verursachertätigkeit beginnt beim Boden. Durch intensive Bodenbearbeitung wird der Boden stärker durchlüftet. Das führt zum Abbau organischer Substanz und damit zur Abgabe von Kohlendioxid in die Atmosphäre. Hohe Stickstoffdüngung hat Lachgasemmissionen in die Atmosphäre zur Folge, der Klimaeffekt von Lachgas ist 300-mal so hoch wie CO2. Synthetische Dünger, insbesondere synthetische Stickstoffdünger sind zudem wesentlich wasserlöslicher als organische Düngemittel, was dazu führt, dass sie starken Verlusten unterliegen durch Auswaschung in tiefere Bodenschichten, bis ins Grundwasser oder durch Denitrifikation in gasförmigen Verbindungen an die Atmosphäre. Beim organischen Dünger ist dieser Anteil sehr viel kleiner.
Ins Gewicht fällt auch der Energieverbrauch in der Landwirtschaft und den vor- und nachgelagerten Stufen: durch treibstoffintensive Arbeitsprozesse wie Pflügen werden Klimagase freigesetzt. Wird bei der Fütterung von Nutztieren getreidebasiertes Kraftfutter eingesetzt, so steht dieses einerseits in Konkurrenz zur direkten menschlichen Ernährung. Andererseits werden zusätzlich Treibhausgas-Emissionen beim Anbau, Transport und am Ende der tierischen Verdauung verursacht. Die Konzentration der landwirtschaftlichen Verarbeitung auf immer weniger Standorte akzentuiert das Problem noch zusätzlich.
Landwirtschaft als Opfer
Die Landwirtschaft ist aber auch Opfer der Folgen, die sie mitverursacht hat. Konnten früher Ernteschwankungen oder andere witterungsbedingte Einflüsse mit den klassischen Mitteln der guten und intelligenten landwirtschaftlichen Praxis begegnet werden, so genügen diese Mittel heute nicht mehr. Zur Erhaltung der Ertragssicherheit in einem Klima mit extremeren Witterungsschwankungen sowie höherem Druck durch Krankheiten und Schädlinge muss im Anbau immer mehr zur Erhaltung der Ertragssicherheit investiert werden. Dies z.B. durch Installationen von Bewässerungs- und Frostschutzanlagen, Abdeckung der Kulturen mit Witterungsschutzdächern, Einnetzung gegen Insekteneinflug und generell intensiverem Pflanzenschutz. Der Klimawandel fordert die Landwirtschaft heraus, wir brauchen Lösungen.
Zwar kann die Schweiz in ihrer derzeitigen Luxussituation all die klimatisch bedingten Ausfälle noch durch Importe kompensieren, sodass die Konsumentinnen und Konsumenten kaum negativ betroffen sind. Ja, sie profitieren mitunter sogar noch von den tieferen Preisen der Importprodukte. Die Frage ist aber: Wie lange haben wir diese Kompensationsmöglichkeiten noch? Denn schliesslich sind die traditionellen Agrarexportländer gleich oder möglicherweise noch stärker von den Folgen der Klimaveränderungen betroffen. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung. Die Forderung nach mehr Autarkie in der Nahrungsmittelproduktion ist auch im Hinblick auf die Welternährung angebracht. Die Schweiz muss hier mehr Verantwortung übernehmen.
Landwirtschaft als Teil der Lösung
Wenn also die bisherigen technischen und finanziellen Massnahmen nicht mehr greifen, der Klimawandel über den Schädling Kirschessigfliege gar die Kraft hat, durch das Absterben der Hochstammbäume bereits mittelfristig Landschaften zu verändern, dann braucht es neue Lösungsansätze. Und zwar Lösungen, die über die rein technischen Hilfsmittel wie etwa Beregnungsanlagen gegen Frost hinausgehen. Es geht vor allem um einen sparsameren und effizienteren Umgang mit den natürlichen Ressourcen, in erster Linie Boden, Dünger und Wasser. Besonders im Baselbiet sind die Wasserressourcen bereits heute knapp und werden mit dem Klimawandel noch knapper.
Die Landwirtschaft braucht also neue Werkzeuge und eine Neugewichtung bekannter Werkzeuge. Chancen bieten modernste Techniken, z.B. noch sparsamere Applikationstechniken bis zur Nanotechnologie und IT, heute diskutiert unter dem Stichwort Landwirtschaft 2.0. Ein wichtiger Lösungsansatz beginnt aber beim Handfesten, beim Boden, indem man diesem nämlich nicht Kohlenstoff entzieht, sondern in Umkehrung des Prozesses gezielt CO2 bindet und dem Boden wieder zuführt, indem Humus aufgebaut wird. Somit kann der Boden wieder mehr Wasser aufnehmen und dieses auch besser speichern, sodass es den Pflanzen länger zur Verfügung steht. Dies kann durch Zuführen von Biomasse geschehen, in Form von tierischen Hofdüngern, kompostierten organischen Materialien und mit Luftstickstoff-bindenden Pflanzen als Gründünger. Durchaus bekannte Techniken, die nicht nur im Biolandbau angewendet werden. Vielleicht brauchen wir künftig einen wachsenden Teil der Fläche zur Produktion von Biomasse- und Düngepflanzen. Biomasse kann auch in schnellwachsenden Hecken wie Weiden produziert werden.
Schlüssel Ressourceneffizienz Positiver Klimaeffekt: Biomasse in stabilen Formen in den Boden gebracht bindet das Klimagas CO2. Dazu eine sehr schonende Bodenbearbeitung und alle weiteren Techniken, um die Freisetzung von Klimagasen zu vermeiden sowie Ressourcenverbrauch zu minimieren. So wird die Landwirtschaft vom Opfer und Mitverursacherin gleichzeitig zur Lösung für den Klimawandel. Das wäre dann Landwirtschaft 3.0.
Die Schlüssel-Technik der Zukunft liegt also in der so genannten Ressourceneffizienz. Das heisst, Erträge müssen auf ihren Ressourceneinsatz hin optimiert werden. Mit anderen Worten: Spitzenerträge verlieren schnell an Wert, wenn sie unter Einsatz von unverhältnismässigen Ressourcen wie Futter, Dünger, Wasser, Pflanzenschutzmittel und Energie erfolgen. Eine Kuh, die ohne oder mit nur sehr wenig Kraftfutter und Arzneimitteln pro Jahr nur eine mittlere Milchmenge gibt, kann sich als wertvoller erweisen, als eine, die mit hohem Kraftfuttereinsatz die doppelte Menge erzeugt, dafür aber auch kürzer lebt wie ihre scheinbar weniger leistungsfähige Kollegin. Eine Strategie zur Verminderung der Methanbildung ist die längere Lebensdauer der Tiere, wodurch die unproduktive Emission während der Aufzucht im Vergleich zur Lebensleistung verringert werden kann.
Das Landwirtschaftliche Zentrum Ebenrain fördert im Rahmen des Ressourcenprogramms Ammoniak eine verlustarme Lagerung und Ausbringung von Gülle. Die wertvolle Ressource ‚Hofdünger‘ gilt es möglichst effizient einzusetzen. Mit dieser Massnahme können gleichzeitig Ammoniak-Emissionen reduziert werden. Aber auch in der Ausbildung und Beratung gewinnen klimaschonende Techniken einen grösseren Stellenwert.
Win-win für Bauern-Konsumenten
Die Ressourceneffizienz wird dann zur Win-win-Situation, wenn die unter optimalem und nicht maximalem Ressourceneinsatz produzierten Nahrungsmittel auch auf dem Markt stärker gefragt und wertgeschätzt werden. Dazu braucht es aber nicht nur eine intelligente und innovative Landwirtschaft, sondern auch Abnehmerbetriebe und eine Konsumentenschaft, welche diese Leistungen der Landwirtschaft würdigt und nicht die Preisminimierung über alles stellt. Die Bäuerinnen und Bauern sind auf Unterstützung aus der Politik und der Gesellschaft angewiesen. Es braucht Verständnis und Partnerschaft innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette. Nicht nur die Produzenten, auch die Händler, Verarbeiter und Konsumenten müssen in Kreisläufen und langfristig denken und im Sinne der Nachhaltigkeit handeln. (lid.ch)
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