Schweiz: Kirschen im XL-Format

Der Anbau von Kirschen ist weniger intensiv als man denkt. Kirschenproduzent Thomas Hungerbühler arbeitet sogar gezielt mit Wildbienen.

Im UFO-System wachsen die Bäume schräg. Gelbe Kirschen sind Hungerbühlers Spezialität. Bild: ep.

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Kirschen haben in den letzten Jahren deutlich an Volumen zugelegt. Das heißt: Weniger Stein und mehr Fruchtfleisch. Bei der Kundschaft kommt das gut an. Im Detailhandel werden eigentlich nur noch solche Premiumkirschen angeboten. Leidtragende sind die traditionellen Hochstammbäume, die manchen Landschaften in der Schweiz - beispielsweise in Basel-Landschaft - immer noch ihren Stempel aufdrücken. Ihre kleinkalibrigen Kirschen landen heute vornehmlich in Brennereien zur Schnapsproduktion.

Die Tafelkirschen für den Frischkonsum hingegen wachsen in modernen Anlagen mit niederstämmigen Bäumen. Blühende Kirschbäume in hügeliger Landschaft contra in Netze eingehüllte Intensivanlagen? Die Sympathiepunkte gehen beim breiten Publikum spontan wohl an erstere. Doch spätestens im Ladenregal ist der Fall dann nicht mehr so klar, wenn man vor dem Kiste mit den prächtigen Kirschen steht. Diese entwickeln sich so nur in modernen Anlagen, zu denen man normalerweise keinen direkten Zutritt hat. Außer der Obstproduzent nimmt sich Zeit für eine Führung. Und diese ist voll von Überraschungen.

Schräge Bäume

Die Kirschbäume von Thomas Hungerbühler in Neukirch-Egnach TG stehen wortwörtlich schräg in der Landschaft. Rund 30.000 sind es bei ihm auf 11 Hektaren Fläche. Der Obstbauer arbeitet nach dem UFO-Prinzip. Es hat nichts mit Außerirdischen zu tun, sondern steht für "Upright Fruiting Offshoot", einem speziellen Anbausystem, das ursprünglich aus den USA kommt. Die Bäume werden dabei schräg, fast flach anliegend gepflanzt. Die an Drähten angebundenen fruchttragenden Äste wachsen aufrecht nach oben. Die Bäume werden nicht höher als zwei Meter fünfzig gehalten. Und das sei eben ein großer Vorteil, weil seine Angestellten deshalb sehr effizient auf dem Boden stehend pflücken können. Damit könne er die Arbeitskosten senken, die im Kirschenanbau sehr hoch seien, erklärt der Kirschenexperte.

Leitern oder Hebebühnen braucht es bei ihm nicht, was sich zusätzlich positiv auf die Sicherheit der Arbeiter auswirkt. Hungerbühler ist mit seinem UFO-Anbau ein Exote in der Branche, obwohl es sich bei ihm auszahlt. Vielen seiner Kollegen fürchteten wohl die Kosten für die Erstellung der Anlage, glaubt er den Grund für die Zurückhaltung zu kennen. Der Kirschenanbau ist sonst schon mit vielen Risiken verbunden.

Natur überlistet

Doch manchen Launen der Natur schlagen moderne Obst-Anlagen wie bei Hungerbühler mit technischen Hilfsmitteln ein Schnippchen. Beispielsweise mit Hagelschutznetzen oder mit dem feinmaschigen Insektenschutznetz rund um die Anlage, insbesondere gegen den Befall der seit ein paar Jahren in der Schweiz eingewanderten Kirschessigfliege. Diese sorgte schon bei manchem Hochstammbaum für Totalverluste. Sie sind schlicht zu groß für ein Netz.

Jetzt in der Erntezeit im Juni schützt in Neukirch-Egnach zusätzlich ein Regendach die heranreifenden Kirschen und verhindert so, dass die heiklen Früchtchen im Regen platzen. Zudem bleiben die Bäume trocken, was präventiv gegen Pilzkrankheiten wirkt. Wenn die Allgemeinheit hier von intensiver Kirschenproduktion spricht, kehrt Hungerbühler den Spieß gerne etwas plakativ um: „Pro Kilo geerntete Kirschen brauche ich in meinem Anbau viel weniger Pflanzenschutzmittel und Dünger als bei Hochstammbäumen.“ Deshalb müsse man eigentlich eher von extensiver Produktion sprechen, sagt er augenzwinkernd.

Qualität über allem

Viele Arbeitsschritte – wie beispielsweise das Schneiden der Äste –, kann Hungerbühler in seiner Anlage maschinell erledigen, was sich positiv auf die Arbeitskosten auswirkt. Fix montierte Bewässerungsschläuche sichern die Versorgung mit Wasser und damit den Ertrag. Das Wasser kommt von einem Teich, in dem Regenwasser von den Gebäuden sowie Drainagewasser gesammelt wird. Damit sorgt er trockenen Phasen vor.

Hungerbühler ist überzeugt, dass seine Kirschen auch qualitativ vom UFO-System profitieren. Wegen des weniger dichten Bewuchses kämen sie zu mehr Licht und entwickelten sich deshalb geschmacklich besser. Für ihn aber fast am Wichtigsten: „Wir können wegen den rationellen Erntemöglichkeiten lange warten, bis die Früchte wirklich erntereif sind.“ Das sei ein Vorteil, weil Kirschen ein Just-in-Time-Geschäft seien. Früh am Morgen wird gepflückt, anschließend an den Händler in der Region ausgeliefert und am nächsten Tag in den Gestellen des Detailhandels in der ganzen Schweiz aufgelegt.

Gelbe Kirschen

Thomas Hungerbühler misst an einem dichtbehangenen Ast die Größe der Kirschen. "Diese müssen noch warten bis sie einen Durchmesser von 28 Millimetern haben", erklärt er. Er hat 14 verschiedene Sorten angepflanzt, die zeitversetzt reif werden. So kann er während zwei Monaten durchgehend bis Mitte August ernten. Sie tragen meistens Frauennamen wie Kordia, Sabrina, Regina oder Tamara.

Als einer der wenigen Kirschenanbauer führt er gelbe Sorten im Sortiment. Man müsse der Konkurrenz eben immer einen Schritt voraus sein. Absatzprobleme kennt er sowieso nicht, denn die Nachfrage nach Schweizer Kirschen übersteigt das Angebot immer noch bei Weitem, obwohl die Anbauflächen in den letzten Jahren zugenommen haben.

Doch eben: Die Kirsche gilt als „Königin der Früchte“. Und als solche will sie auch behandelt werden. Geschützt vor Schädlingen und Kälte, immer ausreichend versorgt mit Wasser, Nährstoffen und Licht. „Alle Ansprüche zu erfüllen ist anspruchsvoll“, sagt Hungerbühler. Deshalb überlegten es sich Obstproduzenten gut, ob sie das Risiko und die hohen Kosten für die Erstellung einer Anlage tragen wollten.

Mit dem Klimawandel habe sich beispielsweise die Blütezeit um zwei Wochen nach vorne verschoben. Damit steigt das Risiko von Frostschäden, wie sie auch in diesem Frühling an vielen Orten der Schweiz wieder auftraten. Seine Früchte profitieren von der Nähe zum Bodensee und dem deshalb etwas milderen Klima. Frost sei für ihn deshalb nur ganz selten ein Thema, sagt er. Vielen Kollegen bereiten frostige Nächte aber schlaflose Nächte, es drohen Zusatzkosten für Frostkerzen oder eben im schlimmsten Fall wirtschaftliche Verluste.

Effiziente Wildbienen

In ein paar Metern Entfernung fallen blaue Kästen mit Röhrchen auf, wie es viele von Wildbienenhotels kennen. Auch hier arbeitet Hungerbühler mit der Natur: Es sind Nistkästen für einheimische Mauerbienen. „Die Wildbienen sind ideal für den Einsatz in Kirschen, weil sie bei tieferen Frühlingstemperaturen fliegen als Honigbienen und dazu viel effizienter arbeiten.“

Am Schluss bedeutet das auch eine bessere Ernte. Geliefert werden sie von der Schweizer Firma Pollinature, welche einen Rundumservice mit Bringen, Abholen und Überwintern anbietet. Zum jetzigen Zeitpunkt haben sich die Insekten bereits in ihre Niststände zurückgezogen. Für Hungerbühler und seine über 40 Angestellten geht die Arbeit in der Kirschenanlage noch bis Mitte August weiter. Dann werden Netze und Dach abgeräumt, Äste geschnitten und die Bäume wieder in die freie Natur entlassen, um Kraft für die nächste Ernte zu tanken.

Kirschenanbau in der Schweiz

Gemäß Obstflächenstatistik des Bundesamtes für Landwirtschaft wurden im letzten Jahr auf rund 560 Hektar Kirschen produziert. Die Flächen nehmen seit Jahren vor allem bei den Tafelkirschen zu. In der Schweiz werden drei Kategorien von Kirschen produziert. In intensiven Anlagen mit Niederstammbäumen wachsen großkalibrige Tafelkirschen. In diesem Jahr rechnet der Schweizer Obstverband hier mit einer Erntemenge von knapp 2.200 Tonnen. Damit ist etwa die Hälfte der inländischen Nachfrage gedeckt. Von den Hochstammbäumen werden die kleineren Brennkirschen gepflückt, in diesem Jahr schätzungsweise rund 3.500 Tonnen. Da die Brennereien ihre Lager noch voll haben, forderten sie die Produzenten jüngst auf, Brennkirschen zusätzlich als Industriekirschen zu verkaufen. Diese dritte Verwendungsart wird in der Lebensmittelindustrie verarbeitet. Der SOV rechnet bei den Industriekirschen in diesem Jahr mit einer etwas tieferen Ernte von 500 Tonnen, weshalb es noch etwas Platz für Brennkirschen hat. Allerdings müssen diese die strengeren Qualitätskriterien für Industriekirschen erfüllen. (lid)

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