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Schweiz: "Ein Großteil der Unfälle ist auf Fehlverhalten zurückzuführen"
Die Anzahl tödlicher Unfälle hat in den letzten Jahrzehnten markant abgenommen, im letzten Jahr erreichten sie gar einen Tiefststand*. Wir war das möglich?
Ruedi Burgherr: Ich habe 1980 bei der BUL angefangen. Damals registrierten wir jährlich zwischen 80 und 100 Todesfälle. Inzwischen sind wir bei durchschnittlich 40 pro Jahr. Die Landwirtschaft ist in den letzten Jahren sicherer geworden. Die BUL hat einen Beitrag dazu geleistet. Ein weiterer Grund ist, dass die Anzahl Bauern in den letzten Jahren stark abgenommen und damit die Wahrscheinlichkeit von tödlichen Unfällen gesunken ist. Was man auch sagen muss: Die Landmaschinen sind dank den europäischen Sicherheitsnormen sicherer geworden. Es gibt weniger offene Gefahrenstellen. Trotzdem verzeichnet die Landwirtschaft am drittmeisten Unfälle bezogen auf 1.000 Arbeitnehmer, umgerechnet auf 100% Beschäftigung.
Wie kann diese Zahl weiter gesenkt werden?
Wenn alle Traktoren einen Fahrerschutz hätten und alle Bauern einen Sicherheitsgurt tragen würden, wäre schon viel erreicht. Heute muss man sich nur angurten, wenn man schneller als 25 km/h fährt und ein Gurt überhaupt eingebaut ist. Das Problem ist, dass Unfälle mit Traktoren oft an einem Hang, also bei eher geringem Tempo, geschehen und nicht, wenn man mit 25 km/h oder schneller fährt. Seit Januar 2018 sind alle neuen Traktoren mit Sicherheitsgurten ausgerüstet. Nun sind sie vorhanden. Jetzt muss man sie auch tragen. Übrigens, viele Unfälle ereignen sich auch, weil zu schnell in den Kreisel gefahren wird.
"Nun sind Sicherheitsgurte vorhanden. Jetzt müssen sie auch getragen werden."
Wo lauern die Gefahren auf Bauernhöfen?
Die Hälfte der Todesfälle geschieht bei der Arbeit mit Maschinen und Fahrzeugen. Fehlende Geländer können zu Stürzen führen. Viele Unfälle geschehen auch im Umgang mit Tieren oder bei der Arbeit im Wald. Früher gab es noch oft Unfälle mit Leitern. Das hat sich gebessert, seit Obstbauern zunehmend auf Niederstamm-Bäume setzen.
Was hat sich sonst noch gebessert?
Wie gesagt, die Maschinen sind sicherer geworden. Zum Beispiel sind Fahrzeuge besser mit Spiegeln ausgerüstet. Die meisten Bauern, die beim Arbeiten ihre Kinder mitnehmen, verfügen über einen Kindersitz. Staub- und Gehörschutz hat man kaum gekannt, als ich angefangen habe. Heute hingegen sind diese selbstverständlich geworden.
Sie haben in einem Vortrag einmal gesagt: "Das Unfallgeschehen im Bauern- und Privatwald war und ist alarmierend." Was ist das Problem?
Die Kompetenzen für Waldarbeiten der Privatwaldbesitzer sind sehr unterschiedlich. Es gibt solche, die arbeiten wie Profis und andere ohne korrekte Ausrüstung und ohne Erfahrung. Deshalb haben die Privaten ein höheres Unfallrisiko als diejenigen, die Waldarbeiten beruflich erledigen. In Zukunft müssen alle, die gegen Entgelt Holzerntearbeiten ausführen, eine Fachkompetenz nachweisen können.
In einer Broschüre der BUL heißt es: "Unfälle geschehen nicht – sie werden verursacht." Können Sie das erläutern?
Ein Großteil der Unfälle ist auf Fehlverhalten und nicht auf technische Mängel zurückzuführen. Dass ein Traktor an einem Hang kippt, kann man vermeiden – indem man zum Beispiel Doppelräder montiert.
"Die Hälfte der Todesfälle geschieht bei der Arbeit mit Maschinen und Fahrzeugen."
Betriebe mit Angestellten müssen über ein Sicherheitskonzept verfügen, Familienbetriebe jedoch nicht. Ist diese Regelung noch angemessen?
Ein Sicherheitskonzept wäre natürlich für alle Betriebe empfehlenswert. Als reiner Familienbetrieb kann man ein solches erarbeiten, man ist aber gesetzlich nicht dazu verpflichtet. Anders sieht es bei Betrieben mit Angestellten und Aushilfen aus. Diese müssen zwingend über ein Sicherheitskonzept verfügen.
Es sind viele Oldtimer-Traktoren eingelöst. Wie sicher sind die?
Oldtimer-Traktoren fahren langsam und sie werden meist nicht mehr zum Arbeiten eingesetzt. Problematisch sind Traktoren, die keinen Fahrerschutz haben. Diese sieht man je nach Region gerade beim Heuen teils noch ziemlich oft. Das ist rechtlich zulässig, wenn der Traktor älter ist als 1. Oktober 1978. Was aber nicht akzeptabel ist, wenn ein einmal installierter Fahrerschutz abmontiert wird. Das sehen wir leider immer wieder.
Sie sind seit 38 Jahren bei der BUL. Wie hat sich die Präventionsarbeit in dieser Zeit verändert?
Als ich angefangen habe, war ich in der Deutschschweiz allein. Mittlerweile arbeiten 25 Personen am Hauptsitz in Schöftland, 6 in der Westschweiz und eine im Tessin. Dadurch können wir eine bessere Breitenwirkung erzielen. Als ich früher an Ausstellungen ging, hatte ich fast an jeder Maschine etwas zu beanstanden, zum Beispiel fehlende Schutzvorrichtungen. Heute kommt das fast nicht mehr vor. Bei den Bauern ist über die Jahre das Bewusstsein für Sicherheit gewachsen. Trotzdem gibt es auch immer wieder Landwirte, bei denen ich mich frage, ob die jemals etwas von der BUL gehört haben. Es ist mir ein Anliegen zu betonen, dass man Unfallverhütung und Gesundheitsschutz für sich selber macht, für die Familie und die Arbeitnehmer – und nicht für die BUL oder die Versicherungen.
"Bei den Bauern ist das Bewusstsein für Sicherheit gewachsen."
Wo sehen Sie Handlungsbedarf bei der Unfallprävention?
Ein großes Problem ist die Finanzierung der Unfallverhütung. Anfangs haben sich Versicherungen und Krankenkassen finanziell stark engagiert, heute leider nicht mehr. Bei der Ergonomie gibt es auch noch viel zu tun. Nur wenn Hilfsmittel angenehm zu tragen sind, werden sie auch eingesetzt.
Sie arbeiten selbst oft im Wald. Hatten Sie jemals einen Unfall?
Ich bewirtschafte mehr als 10 Hektaren Wald – eigenen sowie Wald der Gemeinde. Einmal ist die Achillesferse gerissen und einmal hat es mir den Fuß eingeklemmt zwischen einem Wurzelauslauf und dem Baum.
*Die BUL registriert für letztes Jahr 23 tödliche Arbeitsunfälle. Eine Meldepflicht gibt es allerdings nicht. Deshalb ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Anzahl tödlicher Unfälle etwas höher liegt als die Zahlen der BUL.
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