Im Interview: Ernst Lüthi

Ernst Lüthi bewirtschaftet mit seiner Familie einen intensiven Obstbetrieb im Baselbiet. Er engagiert sich in Dorf, Region und Fachorganisationen. Der Stadt-Land-Graben existiert für ihn nicht, aber er sieht ein riesiges Wissensdefizit.

Ernst Lüthi hält nicht viel vom Begriff des "Stadt/Land-Graben". Bild: mr.

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Ernst Lüthi bewirtschaftet mit seiner Familie in Ramlinsburg BL einen 25 Hektar-Betrieb nach den Richtlinien der integrierten Produktion. Angefangen hatte die Familie als gemischter Betrieb mit Landwirtschaft, Ackerbau und Milchwirtschaft. Heute liegt der Hauptfokus auf dem Anbau verschiedener Früchte sowie etwas Getreide und Mais. Auf 11,5 Hektar kultiviert er vor allem Kirschen, Zwetschgen, Äpfel, Pfirsiche und Aprikosen. Dazu kommen Wiesen, Weiden, Hecken und 3 ha Wald. Zudem weidet eine Lamaherde auf dem Betrieb. Weiter betreibt die Familie den Hofladen Öpfelhüsli.

Im Rahmen des Abstimmungskampagne im Frühsommer waren Sie mit Berufskollegen auch in der Stadt Basel, um das Gespräch mit Städtern zu suchen, was haben Sie da erlebt?

Ernst Lüthi: Das Interesse am Thema war sehr gering. Nur einige wenige gute Gespräche haben sich ergeben, obwohl es Samstagmorgen war und die Leute einen freien Tag hatten. Ein großer Teil der Stadtbewohnerinnen und -bewohner ist auch nicht stimmberechtigt.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus diesen Begegnungen und Beobachtungen für den nun von vielen Seiten geforderten Dialog zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft?

Solche Standaktionen, die nur kurz und selten stattfinden, führen kaum zum Ziel, da die Passanten sich ungern Zeit nehmen und gefühlt im Dauerstress sind.

Sogar der Bundespräsident sagt: "Es ist wichtig, den Dialog zwischen Stadt und Land zu erneuern." Und die Bauerzeitung fordert: "Nach dem Sturm braucht es Dialog."

Die Problematik "Stadt-Land-Graben" höre ich nicht sehr gerne. Ob es diesen wirklich so gibt? Es ist eher die Problematik, dass die Konsumenten sehr oberflächlich mit dem Thema Ernährung und deren Herkunft umgehen. Sie konsumieren jeden Tag, aber das Hintergrundwissen wie ein Produkt entsteht und was dazu benötigt wird, ist weggebrochen.

"Auch die Konsumenten auf dem Land haben eine große Distanz und wenig Wissen über die Lebensmittelproduktion."

Und wie sollte so ein Dialog gestaltet werden?

Die Nahrungsmittelproduzenten müssen sich sehr gut überlegen, wie sie in Zukunft Informationskampagnen gestalten wollen. Wir haben in den letzten 20 Jahren sehr viel gemacht, aber wenig darüber gesprochen. Zudem haben wir mit Werbung über unsere Produkte dem Konsumenten ein falsches Bild vermittelt. Wir sollten eine neue Kampagne führen, die Grundinformationen vor allem an die Schulkinder wie auch allgemein an die Konsumenten weitergibt.

Wie kommen Sie zu dieser Schlussfolgerung?

Ich frage mich, ob die Gestaltung der neuen Lehrpläne dieses Wissensdefizit gefördert hat. Wir stellen besonders bei Schnupperlehrlingen oder auch Lehrlingen auf unserem Betrieb fest, dass da oft jegliche Grundlagen zur Landwirtschaft und der Herkunft der Lebensmittel fehlen, auch Gespräche mit Gymnasialklassen bestätigen dies. Diese Klassen reden gerne über Foodwaste, vegane Ernährung und Einkauf über die Grenze, aber was es braucht, bis das Essen auf dem Tisch steht: Keine Ahnung. Am meisten schockierte hat mich eine Gymi-Klasse aus Muttenz, da haben bloß 2 Schüler gewusst, in welche Richtung sie ihren Beruf wählen wollen, alle andern konnten 1 Jahr vor der Matur diese Frage nicht beantworten.

Welche Bilanz ziehen Sie persönlich aus dem Abstimmungskampf um die beiden Agrarinitiativen?

Als Vize-Präsident der Interessengemeinschaft Bauern Unternehmen habe ich in dieser Abstimmungskampagne sehr viel Zeit investiert. Für mich war der Abstimmungskampf hart aber fair. Vor allem haben am Schluss den Befürwortern der Initiativen die nötigen, tiefgründigen aber auch faktenbasierten Argumente gefehlt.

Ein Obstbauer vom Bielersee suchte bereits vor den Abstimmungen das direkte Gespräch mit Greenpeace und WWF. Er forderte danach im Bieler Tagblatt, "dass in diesem Land eines Tages alle Menschen gemeinsam für die Umwelt zusammenarbeiten".

Ich sehe an den Gesprächen mit den NGOs wenig Sinn. Die NGOs haben in diesem Abstimmungskampf mit sehr oberflächlichen Argumenten gekämpft. Vor Jahren war ich Teilnehmer an den runden Tischen beim Aktionsplan Pflanzenschutz. Damals waren von Greenpeace, WWF und Pro Natura noch Vertreter dabei, die etwas Verstand und Wissen mitbrachten, so konnten gute Diskussionen geführt werden. Diese Leute mit dem gewissen Sachverstand fehlen heute. Das hat mich auch enttäuscht bei der vergangenen Kampagne. Selbstkritisch müssen wir uns ja in der Landwirtschaft auch hinterfragen und zugestehen, dass Verbesserungspotentiale vorhanden sind.

"Wir werden ständig als Umweltverschmutzer, Tierquäler und Verkehrs-Behinderer hingestellt", sagen Berner Bauern gegenüber einem Berater des Inforamas.

Wer stellt uns in diese Ecke? Immer mehr ist die Meinung der Gesellschaft nur über Medien und Politik gesteuert. Medien vermitteln meist ein krasses, einseitiges Bild einer Thematik. Wenn ich mir überlege, wie in den Medien die Landwirtschaft dargestellt wird, frage ich mich bei anderen Themen, wo ich das nötige Hintergrundwissen nicht habe, was dort alles falsch interpretiert wird. Bei der Politik geht es leider vielen Volksvertretern in kantonalen und nationalen Gremien nur um Selbstprofilierung. Was Grüne und vor allem auch GLP-Vertreterinnen und Vertreter in diesen landwirtschaftlichen Abstimmungsdiskussionen unseren Stimmbürgerinnen und –bürgern vermittelt haben, war sehr oberflächlich und nie faktenbasiert.

Erlebten Sie selbst Anfeindungen bei der Arbeit?

Wir betreiben einen Obstbaubetrieb und produzieren Obst, Beeren und Gemüse. Unser Betrieb ist nicht arrondiert und deshalb sind wir auch oft auf den Straßen des Dorfes unterwegs. Das Öpfelhüsli mit unserem Hofladen befindet sich mitten in den Obstkulturen. Wir führen unseren Betrieb nach den Richtlinien der integrierten Produktion mit intensiven Pflegemaßnahmen. Wir haben noch nie wegen unserer Arbeit Anfeindungen unserer Umgebung wahrnehmen müssen. Wir engagieren uns aber im Dorf politisch, gesellschaftlich und auch im Vereinsleben sehr stark. Das ergibt uns die Möglichkeit, dort auch Informationen und die Problematik richtig darzustellen. Das ist ein Thema, dass sich die Berufskollegen in Zukunft schon auch merken müssen. Es braucht von unserer Seite in Politik und Gesellschaft ein Engagement. Zum Beispiel im Gemeinderat, Turnverein, Musikverein oder Frauenverein.

Sie betreiben einen grossen Hofladen und haben oft Leute aus der Stadt auf dem Betrieb. Spüren Sie da etwas von dieser Distanz?

Wir betreiben seit 3 Jahren einen neuen Hofladen in der Station Lampenberg. Vor dem Hofladen liegt die Kantonsstraße Liestal – Waldenburg, wie auch die Waldenburgerbahn. Dort bewegen sich etwa 10.000 Autos pro Tag. Der Großteil unserer Kundschaft kommt nicht aus der Stadt. Auch die Konsumenten auf dem Land haben eine große Distanz und wenig Wissen über die heutige Lebensmittelproduktion. Es besteht kaum Wissen darüber, was Saisonalität bedeutet, woher eine Wurst kommt oder was es für einen schönen Apfel braucht.

Gibt es auch Dinge, die Bäuerinnen und Bauern von den Stadtbewohnern lernen oder mitnehmen können?

Die Bäuerin und der Bauer müssen die Konsumenten und deren Wünsche verstehen und dies ist unabhängig von deren Wohnort.

Wie wichtig ist es, dass die Bauernfamilien die Bedürfnisse der Städter kennen?

Wir sind Nahrungsmittelproduzenten und müssen daher auf die Wünsche und das Kaufinteresse unserer Kunden eingehen. Die Frage ist, was für Möglichkeiten wir haben, diese zu beeinflussen. Ist es nur der Preis, die Regionalität oder was ist Qualität? Die ganze Problematik Bioökologie zeigt das widersprüchliche Kaufverhalten des Konsumenten. Dass nach viel Propaganda und Marketing während Jahrzehnten der Bio-Anteil nicht höher ist, zeigt deutlich, dass Konsumenten zwar fordern, aber dann doch nicht bereit sind, den Preis zu bezahlen.

Sind die Erwartungen und Forderungen der Konsumenten an die Bauern mehr Gefahr für die Bauern oder auch Chancen?

Die Erwartungen und Forderungen der Konsumenten sind sehr breit und kaum fassbar für einen einzelnen Bauern. Das haben die beiden Abstimmungskampagnen deutlich gezeigt. Die nächste Abstimmung über die Massentierhaltungsinitiative wird das noch deutlicher zeigen. Deshalb ist es schwierig, Chancen oder Gefahren zu definieren. (lid)

Vielen Dank!

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