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Gen-Petunien: Verdacht bestätigt - und nun?
Der Fall der Gen-Petunien entwickelt sich zu einer Lose-Lose-Situation mit unübersehbaren Folgen für alle Beteiligten. Daher lohnt es sich einen etwas umfassenderen Blick auf die aktuelle Situation zu werfen.
Der Markt für Petunien
Allein in Deutschland werden in über 3.000 Hochglasbetrieben Jungpflanzen oder Fertigware von Beet- und Balkonpflanzen und Stauden erzeugt. Schwerpunkte der Produktion liegen in NRW, Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen. Die Produktionsmenge beträgt 1.188.342.000 Stück Beet- und Balkonpflanzen und Stauden insgesamt.
In circa 2.275 Produktionsbetrieben werden innerhalb des Beet- und Balkonpflanzensortiments deutschlandweit Petunien in den verschiedensten Formen angebaut (Petunien, Calibrachoa, vegetativ und generativ vermehrt). Die Produktionsmenge beträgt 43.224.000 Stück Petunien, Calibrachoa, vegetativ und generativ vermehrt. Auch hier liegt der Anbauschwerpunkt mit 27.365.000 Stück in NRW. Der Anteil orangefarbener Petunien liegt nach Schätzungen von Fachleuten deutlich unter 5% innerhalb des Petuniensortiments.
Das Marktvolumen für Beet- und Balkonpflanzen in Deutschland beträgt circa 1.800.000.000 Euro. Davon entfallen etwa 6% auf Petunien (108.000.000 Euro). Gehandelt wird die Hängepetunie im 12cm-Topf mit 2,45 Euro im Facheinzelhandel. Entgegen Medienberichten verteilt sich dieser Umsatz jedoch nicht allein auf die drei beteiligten nordrhein-westfälischen Züchter von Petunien.
Betrachtet man diese Zahlen in der Zusammenschau, so lässt sich feststellen, dass der Markt für orangefarbene Petunien ein sehr kleiner Markt ist, bei dem es fraglich ist, ob sich der Einsatz gentechnischer Methoden für die Züchter überhaupt rechnet.
Die Kosten der Erzeugung von durch Gentechnik veränderter Organismen (GVO)
Zu diesem Aspekt gibt es im Bereich der Nutzpflanzen diverse Untersuchungen. Allerdings hat man es im Bereich von Mais oder anderen Kulturpflanzen mit erheblich höheren Risiken für Mensch, Nahrungskette und Umwelt zu tun. Eine Auspflanzung von einjährigen Petunien im rauen nordeuropäischen Klima scheint hier weniger risikobehaftet. Dennoch entstehen den Züchtern eine Reihe von Kosten, die bei der normalen Züchtungsarbeit vielleicht nicht entstehen und die sich am Ende in Form eines höheren Jungpflanzenpreises bemerkbar machen dürften. Bislang ist uns nicht bekannt, ob die Züchter höhere Preise für die Jungpflanzen der betroffenen Sorten aufgerufen haben. Zahlen zu den tatsächlichen Kosten, die bei der Anwendung entsprechender gentechnischer Verfahren entstehen, liegen uns bislang nicht vor.
Kostenfaktoren sind unter anderem: das EU-Antragsverfahren und die Zulassung im Rahmen der Gentechnik-Gesetzgebung, die Kennzeichnungspflicht der Produkte bis zum Endverbraucher, die separate Warenvermarktung (Trennung von GVO-Pflanzen und Nicht-GVO-Pflanzen), Dokumentationspflichten entlang der gesamten Produktionsprozesskette, die Überwachung und Beprobung des Bestandes zur Kontrolle der GVO-Pflanzen, ggf. Versicherungen gegen Ansprüche Dritter.
Ertragsvorteile wie beispielsweise in der Landwirtschaft ergeben sich bei neuen Sorten zum heutigen Zeitpunkt nicht. Derzeit scheint es bei den aufgetauchten Petunienfällen lediglich um eine neue Farbe im Sortiment zu gehen. Ganz sicher ist aber: Neben betriebswirtschaftlichen Konsequenzen sind bei Zuchtbetrieben Auswirkungen auf die Qualitätskontrolle des verwendeten Zuchtmaterials zu erwarten.
Wer hat wen kopiert?
Nachahmung ist die höchste Form der Anerkennung. Dieses Sprichwort wird Oscar Wilde zugeschrieben, der im 19. Jahrhundert zu einer Zeit lebte, als es noch kein Internet, keine Social Media oder Smartphones gab. In der jetzigen Zeit scheint es ein generelles Phänomen zu sein, dass Ideen, seien sie noch so schlecht, einfach kopiert werden. Im Kern geht es sicherlich um den Aspekt der Aufmerksamkeit. Der Kampf um dieses kostbare Gut der Neuzeit ist so gnadenlos, dass in jedem Bereich Nachahmer so schnell wie möglich ans Werk gehen. Ja oftmals sind die Nachahmer sogar erfolgreicher als diejenigen, die mit der Idee zuerst am Markt positioniert waren.
In Anbetracht des kleinen hier betrachteten Marktes für orangefarbene Petunien ist es in der Tat verwunderlich, wie viele Anbieter in diesem Jungpflanzensegment "eigene" orangefarbene Züchtungen im Rahmen ihrer Petuniensortimente anbieten. Denn eigentlich sollte doch der Anbau von GVO-Petunien verboten oder zumindest stark reglementiert sein.
Ein Verkaufsstopp in der EU ist nicht die härteste Maßnahme
Die Pflanzenversteigerungen haben inzwischen einen Verkaufsstopp von orange Petunien umgesetzt und fordern die betroffenen Betriebe zu einer vollumfänglichen Kooperation mit den Behörden auf.
Landgard hat eine entsprechende Information an ihre Mitglieder beziehungsweise Lieferanten und Kunden geschickt. Auch die Veiling Rhein-Maas hat den Vertrieb solcher Pflanzen eingestellt. Plantion in Ede und RoyalFlora Holland haben ebenfalls den Verkauf ausgesetzt und beginnen erst wieder, sobald die Behörden Entwarnung geben. Inzwischen schließen sich auch weitere Händler der Branche an. Aufgrund der aktuellen Medienberichterstattung dürften orangefarbene Petunien "unverkäuflich" sein.
Für den Anbau von gentechnisch veränderten Petunien gibt es in Europa aktuell keine Zulassung. Nach §14 Gentechnikgesetz (GenTG) ist für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen eine Genehmigung der zuständigen Bundesbehörde erforderlich.
Was aber kommt eventuell noch auf die Beteiligten zu?
Das Gentechnikgesetz (GenTG) fordert den Unternehmen der Biotechnologie einen erhöhten Maßstab an Sorgfalt ab, der auch durch die Bußgeld- und Strafvorschriften in den Paragrafen 38 und 39 des GenTG zum Ausdruck kommt. Nach §38 GenTG handelt derjenige ordnungswidrig, der vorsätzlich oder fahrlässig ohne Genehmigung gentechnisch veränderte Produkte in den Verkehr bringt. Das GenTG gehört zum Nebenstrafrecht.
Verstöße gegen das Gentechnikgesetz sind Offizialdelikte, die von Amts wegen verfolgt werden. Die Tatbestände, um die es bei den aktuellen Petunienfunden geht, sind möglicherweise sowohl bußgeld- als auch strafbewehrt. Wie hoch das jeweilige Bußgeld oder die jeweilige Strafe ausfällt, bestimmt sich unter anderem auch durch den Grad des Verschuldens. Der Strafrahmen kann bis zu fünf Jahren Gefängnisstrafe betragen.
Im Sinne der EU-Freisetzungsrichtlinie gibt es kein generelles Verbot für die Anwendung gentechnischer Züchtungsmethoden.
So sind zum Beispiel folgende Verfahren im Sinne von Artikel 3 der EU-Freisetzungsrichtlinie möglich:
Verfahren/Methoden der genetischen Veränderung, aus denen Organismen hervorgehen, die von der Richtlinie auszuschließen sind, vorausgesetzt, es werden nur solche rekombinanten Nukleinsäuremoleküle oder genetisch veränderten Organismen verwendet, die in einem oder mehreren der folgenden Verfahren bzw. nach einer oder mehreren der folgenden Methoden hervorgegangen sind: 1. Mutagenese oder 2. Zellfusion (einschließlich Protoplastenfusion) von Pflanzenzellen von Organismen, die mittels herkömmlicher Züchtungstechniken genetisches Material austauschen können.
Welche Betriebe und welche Sorten sind von Untersuchungen betroffen?
Auf Nachfrage beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erhielten wir die Antwort, dass für Kontrollen nach dem Gentechnikrecht die Bundesländer zuständig sind. Behördliche Anordnungen in Fällen, in denen bei Kontrollen nicht zugelassene GVO nachgewiesen worden waren, richteten sich an die Betriebe, in denen die GVO gefunden worden waren.
Soweit dem BVL bekannt ist, wurde in Betrieben, bei denen Pflanzenproben gezogen worden waren, die beprobte Charge für die Weitergabe gesperrt. Die Betriebe haben ihre Kunden über die in Verdacht stehenden Chargen und die Probenahme informiert.
Betroffen sind lediglich orangefarbene Sorten des Petunia-Sortimentes:
Pegasus ‘Orange Morn’ (Produktname beim Züchter: Salmon ‘Ray’)
Pegasus ‘Orange’ (Produktname beim Züchter: Bingo ‘Mandarin’)
Pegasus ‘Table Orange’ (Produktname beim Züchter: Bingo ‘Orange’)
Perfectunia Mandarin, Perfectunia Orange Morn, Perfectunia Orange
Go!Tunia Orange
Viva Orange
Potunia Plus Papaya
Bonnie Orange
African Sunset Sanguna Patio Salmon, Sanguna Salmon
Welche Produktlinien mussten bereits auf behördliche Anordnung hin vernichtet werden?
Das verbotene Pflanz- und Saatgut soll aus den Niederlanden und Deutschland, unter anderem aus dem Münsterland, nach Finnland gelangt sein, teilte das BVL mit Bezug auf finnischen Behörden mit. Der Zentralverband Gartenbau e.V. nennt außerdem Dänemark als ein mögliches weiteres Ursprungsland.
Das nordrhein-westfälische Umweltministerium hat am 05. Mai und am 09. Mai 2017 Ergebnisse zu den Untersuchungen auf gentechnisch veränderte Petunien vorgelegt. Bei 4 von 5 untersuchten Produktlinien, die bei einem Unternehmen in NRW genommen und im Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Rhein-Ruhr-Wupper (CVUA-RRW) in Krefeld untersucht wurden, sind gentechnische Veränderungen festgestellt worden. Nach der Feststellung, dass gentechnisch veränderte Pflanzen aus NRW in den Verkehr gebracht wurden, hat das Umweltministerium die Vernichtung der betroffenen Produktlinien veranlasst und den weiteren Verkauf untersagt.
Konkret handelt es sich dabei um folgende Produktlinien:
Pegasus Orange Morn (Produktname beim Züchter: Salmon Ray), Herkunft: Volmary GmbH, Münster bzw. Bruno Nebelung GmbH, Everswinkel
Pegasus Orange (Produktname beim Züchter: Bingo Mandarin)
Pegasus Table Orange (Produktname beim Züchter: Bingo Orange)
Potunia plus Papaya (eines Betriebs aus dem Kreis Wesel), Herkunft: Dümmen Group B.V., De Lier
Der Ursprung dieser gentechnisch veränderten Petunien ist weiterhin unbekannt. Erst eine anschließende genaue molekularbiologische Charakterisierung der gentechnischen Veränderungen kann klären, welche Ursache die orangene Färbung der Blüten hat. Diese Informationen können Hinweise liefern, woher die gentechnisch veränderten Pflanzen stammen könnten und ob die Funde in direktem Zusammenhang mit Freilandversuchen gentechnisch veränderter Pflanzen stehen könnten, die 1990 in NRW stattgefunden haben.
In der EU gibt es keine Zulassung für den Anbau oder die Vermarktung von gentechnisch veränderten Petunien. Es bestand der Verdacht, dass einige der gentechnisch veränderten Petunienlinien aus NRW kommen. Bei den betreffenden Züchtern wurden von der NRW-Gentechnik-Überwachung entsprechende Proben gezogen. Auch der Bundesverband Zierpflanzen (BVZ) hat den Handel unmittelbar über den Verdacht informiert. Seitens des Handels wurden Maßnahmen ergriffen, um die Vermarktung der betroffenen Petunien zu verhindern. Ob es weitere Untersuchungen in Deutschland zu betroffenen Sorten derzeit gibt, ist nicht bekannt.
Gentechnisch verändert oder nicht?
In den Niederlanden wurde in Fachkreisen die Vermutung geäußert, dass zumindest die Möglichkeit bestehe, dass die Farbe Orange als rezessives Gen immer vorhanden gewesen sein könne und nun zufällig von einem Züchter entdeckt worden sei. Dennoch ist es erstaunlich, dass eine solche Farbe gleich von verschiedenen Züchtern angeboten wird.
Helsinki sieht orange
Warum wurden die Pflanzen in Finnland entdeckt und nicht in größeren Märkten wie Holland, Deutschland, Frankreich oder Österreich? Wurden gezielt Märkte gesucht, wo man die Akzeptanz in Ruhe testen kann? Konkrete Informationen zur Beantwortung dieser Fragen gibt es nicht. Allerdings kann man in Bezug auf die Funde in Finnland wohl davon ausgehen, dass es reiner Zufall war, dass die betroffenen Sorten hier zuerst gesehen wurden. Lange Zeit war es ruhig um die Gen-Petunien, die letzten Studien zur Färbung von Blumen und Pflanzen stammten aus den 90er Jahren. Als dann im letzten Sommer viele orangefarbene Petunien in Helsinkis Freiflächen auftauchten, wurden die Genetiker der landwirtschaftlichen Fakultät an der Uni Helsinki auf das Thema aufmerksam. Die finnische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Evira) informierte in der vergangenen Woche darüber, dass orangefarbene Petunien und Saatgut solcher Petunien in Finnland vom Markt genommen wurden. Aufgrund ihrer auffälligen, für Petunien untypischen orangenen Blütenfarbe wurden Pflanzen verschiedener Handelsnamen auf gentechnische Veränderungen untersucht. Bei mehreren Petunienlinien wurden daraufhin gentechnische Veränderungen nachgewiesen.
Keine GVO auf der britischen Insel
Die britische Horticultural Trades Association (HTA) verkündete wohl eher vorsorglich, dass man in Finnland und anderen EU-Mitgliedsstaaten GVO-Petunien gefunden habe und daher auch das Department for Environment Food and Rural Affairs der britischen Regierung darüber informiert habe. Dies ist insofern verwunderlich, als der Informationsfluss gemäß der Regularien der EU von der europäischen Kommission in Richtung der nationalen Regierungen bzw. zuständigen Bundesbehörden zu erfolgen hat. In der Meldung der HTA wurde zudem ausgeführt, dass die Sorte 'African Sunset' bei vielen Anbietern in UK im Programm sei. Laut Medienkreisen habe man entsprechende Pflanzen in der britischen Supply Chain gefunden und werde diese umgehend vernichten. Das Department for Environment Food and Rural Affairs (DEFRA) konnte diese Darstellung bislang nicht bestätigen. Es gebe keine Beweise für die Existenz von GVO-Pflanzen in der britischen Lieferkette.
Offene Fragen und Ausblick
Stammen die oben genannten Petuniensorten alle aus demselben Genpool oder handelte es sich dabei um unterschiedliche Herkünfte? Diese Frage richteten wir ebenfalls an das BVL. Laut Aussage des Ministeriums liegen hierzu noch keine belastbaren Erkenntnisse vor.
Uns interessierte ferner, ob hier systematisch "Recht gebrochen" wurde. Auch diese Frage sei derzeit (noch) nicht zu beantworten. Die Ermittlungen dazu liegen in der Zuständigkeit der Länderbehören. Hierzu wird es zumindest in NRW sicherlich weitere Untersuchungen geben.
Zu welchem Zeitpunkt wurden die betroffenen Stellen und Unternehmen über diesen Vorgang informiert? Das BVL führte hierzu aus: "Finnland hat EU-Kommission informiert, die EU-Kommission die Mitgliedstaaten. In Deutschland hat das BVL die zuständigen obersten Landesbehörden informiert und diese haben, soweit möglich, unverzüglich mit ihren Ermittlungen begonnen."
Wenn man alle hier genannten Aspekte betrachtet, war es sinnvoll für die Unternehmen ein solches Risiko einzugehen? Inwieweit haben die Risikomechanismen in den Unternehmen versagt? Wahrscheinlich dürften sich die aufgewendeten Kosten nicht rechnen.
Glossar
Gentechnisch veränderter Organismus (GVO): Ein GVO ist ein Organismus, mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt.
Freisetzung: Gezieltes Ausbringen von GVO in die Umwelt, soweit noch keine Genehmigung für das Inverkehrbringen zum Zweck des späteren Ausbringens in die Umwelt erteilt wurde. (Redaktion gabot.de / so)
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